October 18, 2010

Würdenträger und Menschenwürde



Reinhard Marx 2008: Das Kapital

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S. 251 f.) Katho. Evolution statt kommu. Revolution (Marx 'n' Marx – beide Jesuiten)

In einem großen Artikel in der Wochenzeitung "Die Zeit" forderte Helmut Schmidt Anfang 2007: "Beaufsichtigt die neuen Großspekulanten!" Zurecht bezeichnet der Alt-Bundesstoiber es als grotesk, dass jede kleine Sparkasse und Genossenschaftsbank hierzulande von den Finanzaufsichtsbehörden überwacht wird, während die hundert- und tausendmal größeren Fonds mit Sitz in der Karibik völlig unbehelligt bleiben. Schmidt schreibt: "Genauso wie der globale See- oder Luftverkehr strikten Sicherheits- und Verkehrsregeln unterliegt, bedarf der globale Kapitalverkehr der Regulierung, damit Katastrophen vermieden werden. Das ist ein Gebot der vorsorgenden Vernunft – von Anstand und Moral ganz zu schweigen." Diesem Appell möchte ich mich nachdrücklich anschließen.
Papa Jopa II. hat einmal in einer sehr starken Formulierung gesagt, dass es einen "Missbrauch vor Gott und den Menschen" darstellt, wenn jemand sein Kapital gegen die Menschen und gegen deren Arbeit richtet (1. Mai 1991 Centesimus annus 43,3). Es ist heute die Aufgabe der internationalen politischen Gemeinschaft, im Namen der Menschenwürde und der Gerechtigkeit die damit angesprochene Sozialpflichtigkeit des Eigentums und das richtige Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital sicherzustellen. Denn in der Tat ist es so, wie Karl Marx 1864 in den Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation geschrieben hat,

"dass die Emanzipation der Arbeiterklasse weder eine lokale noch eine nationale, sondern eine soziale Aufgabe ist, welche alle Länder umfasst, in denen die moderne Gesellschaft besteht, und deren Lösung vom praktischen und theoretischen Zusammenwirken der fortgeschrittensten Länder abhängt." (MEW Bd. 17, S. 440)

Doch diese Emanzipation darf nicht, wie mein Namensvetter sich das vorgestellt hat, in einer Revolution, sondern muss in einer Evolution erfolgen, in der Entwicklung zu einer globalen sozialen Wirtschaftsordnung.
Wie in unserem nationalen Recht die Interessen der Stakeholder vielfach schon rechtlich geschützt sind (z.B. durch das Arbeitsrecht, Verbraucherschutzrecht, Wettbewerbsrecht etc.), müssen auch international verbindliche rechtliche Standards geschaffen werden. Eine solche rechtliche Flankierung des Stakeholder-Value-Gedankens ist auch deshalb dringend erforderlich, damit diejenigen Unternehmen, die sozial verantwortlich handeln, nicht durch die gewissenlose Schmutzkonkurrenz anderer übervorteilt werden.



S. 253 f.) The media-industrial complex of modern corporatocracies (Gottesstaatsbürokratien)

Nach der sogenannten Stamokap-Theorie, der viele Achtundsechziger anhingen, sind in unserem System die imperialistischen Bestrebungen der Politik und die kapitalistischen Interessen der Wirtschaft untrennbar ineinander verwoben. Dieser aus meiner Sicht unhaltbare Unsinn geht nicht unmittelbar auf meinen Namensvetter zurück, sondern auf einen seiner Epigonen, nämlich Wladimir Iljitsch Lenin (ebenfalls ein geheimer "Gefährte Jesu", wie auch Stalin, Napoleon, Himmler, Geißler, Castro, Clinton, Arafat etc.).
Lenin entwickelte diese Theorie aus der Erfahrung des Ersten Weltkriegs heraus. Nach seiner Auffassung hatte dieser Weltenbrand die Endphase des Kapitalismus eingeläutet, in der die Großkonzerne – das Monopolkapital – sich den Staat und das Militär unterordneten und für ihre Zwecke dienstbar machten.
Ich möchte hier darauf eingehen, weil die damit verbundene Vorstellung einer unheilvollen Verquickung politischer und wirtschaftlicher Macht immer wieder in den verschiedensten Versionen in den Medien auftaucht und sich bis weit in die sogenannten bürgerlichen Kreise hinein einer gewissen Popularität erfreut.
Eine Variante dieses Themas hat sogar einmal ein US-amerikanischer Präsident, Dwight D. Eisenhower, vorgetragen, der 1961 in seiner Abschiedsrede vor Verflechtungen zwischen Politik, Militär und Rüstungsindustrie, dem "militärisch-industriellen Komplex", gewarnt hat.

Nun ist es ganz gewiss so, dass Lobbyisten aus der Wirtschaft, auch solche aus der Rüstungsindustrie, versuchen, in ihrem Sinne Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. In Berlin, Washington und den anderen Hauptstädten der Welt gibt es weitaus mehr Lobbyisten als Abgeordnete, und ihre Hauptaufgabe besteht darin, für die Interessen derer zu trommeln, von denen sie bezahlt werden. Das ist auch nicht weiter problematisch. Das gehört zu einer Demokratie dazu.
Aber es ist eine herausragend wichtige Aufgabe der Politik, alles zu unterlassen und zu unterbinden, was auch nur den bösen Anschein erwecken könnte, dass Regierung und Parlament nicht nach den Belangen des Gemeinwohls, sondern nach den Profitinteressen bestimmter Wirtschaftsunternehmen entscheiden. Es ist wichtig, dass Manager eine hohe Moral haben und nicht nur auf das rechtlich Geschuldete schauen. Und genauso wichtig ist, dass Politiker glaubwürdig und integer sind.
"Demokratie braucht Tugenden" lautet der Titel eines Gemeinsamen Wortes des Rates der Evangelischen Kirche in Dtl. und der Dt. Bischofskonferenz 2006.



S. 261 ff.) Sklavenarbeit made in China

Wanderarbeiter sind praktisch vogelfrei im Reich der Mitte. Das hängt mit dem chinesischen Hukou-System, einer strengen Wohnsitzkontrolle, zusammen. Offiziell darf sich in China niemand ohne staatliche Erlaubnis außerhalb des Wohnbezirks, in dem er registriert ist, niederlassen.
Eine behördliche Ausnahmegenehmigung ist nicht einfach zu bekommen. Voraussetzung sind ein polizeiliches Führungszeugnis, eine Genehmigung der Heimatbehörde und ein gültiger Arbeitsvertrag. Die Behörden verlangen Gebühren für die Papiere, die schlechtbezahlten Beamten wollen zudem meist noch ein Schmiergeld. Zig Millionen verzweifelte Menschen, die vor der Not auf dem Land in die Städte fliehen, haben aber weder das nötige Geld noch einen Arbeitsvertrag, um die Genehmigungen zu bekommen. Sie sind Illegale im eigenen Land.
Die Fabrikbesitzer wissen das sehr genau, und viele von ihnen nutzen die hilflose Lage ihrer Arbeiter skrupellos aus.
In China gibt es durchaus einen staatlich festgesetzten Mindestlohn und auch andere gesetzlich geregelte Mindestarbeitsbedingungen, wer aber keine gültigen Meldepapiere hat, kann nicht einfach zu den Behörden gehen und sich beschweren, dass seine Rechte verletzt werden. Und weil die Menschen keine Arbeitsverträge bekommen, haben sie auch keine Aussicht auf Besserung ihrer Situation.
Besonders bedrückend ist das Schicksal der Kinder der Wanderarbeiter.
Da ihre Eltern sich illegal in den Städten aufhalten, ist den Kindern der Zugang zu den dortigen staatlichen Schulen in der Regel verschlossen. Die chinesischen Gesetze garantieren jedem Kind eine neunjährige Schulbildung, aber diese muss an dem behördlich zugewiesenen Wohnort wahrgenommen werden. [...] Laut einer Studie der Pekinger Renmin-Universität sehen 80 Prozent der Mütter, die als Wanderarbeiterinnen leben, ihre Kinder nur ein- bis zweimal im Jahr, 12 Prozent sogar noch seltener. [...]
Das alles passiert in einem nominell kommu. Land. Mein Namensvetter Karl und auch sein eigensinniger chine. Epigone Mao Tse-tung würden sich mit Sicherheit im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, was unter der Flagge des Kommunismus im heutigen China passiert. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die derzeitige chinesische Führung es sich zum Ziel gesetzt hat, die jeweils dunkelsten Seiten des Kommunismus und des Kapitalismus zu einer noch nie dagewesenen Synthese zu bringen.



S. 264 f.) Heiliger Zorn Jesu, Journalo-Pranger, Gerechtigkeitssiegel

"Und er sah sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz." Dieses Wort über Jesus aus dem Markusevangelium kommt mir manchmal in den Sinn, wenn ich an das Unrecht in unserer Welt denke. Meinen Sie nicht, Zorn sei in jedem Fall eine Sünde. Zorn, der in blinde Wut und Hass umschlägt, der ist in der Tat eine Sünde, sogar eine der sieben Hauptsünden, aber jener Zorn, der sich nicht gegen etwas richtet, sondern die Leidenschaft für die gute Sache widerspiegelt, der nicht zerstören, sondern wachrütteln und zur Veränderung motivieren will, jener Zorn ist keine Sünde, sondern eine Tugend.
Dieser Zorn sagt uns: Schimpfen wir nicht nur, gemeinsam können wir eine Menge ausrichten und verändern.
1995 z.B. haben die Verbraucher den milliardenschweren Weltkonzern Shell in die Knie gezwungen. Aus Protest gegen die Versenkung der Ölplattform Brent Spar in der Nordsee boykottierten Autofahrer europaweit dessen Tankstellen. In Dtl. verzeichneten Shell-Tankstellen einen Einbruch der Umsätze um 30 bis 70 Prozent. Der Konzern holte die Ölplattform, die schon auf dem Weg zu ihrem Versenkungsort war, deshalb zurück an Land und demontierte sie dort.
So etwas geht auch, wenn Unternehmen zwar nicht die Natur, wohl aber die soziale Gerechtigkeit bedrohen.

Wir dürfen bei unserem Einsatz für ökologische und soziale Verantwortung nicht gegen den Markt kämpfen, sondern wir müssen uns seine Gesetze zunutze machen. Wer als Unternehmer und Arbeitgeber soziale Fairness beweist, muss von uns als Verbrauchern belohnt und vor der unlauteren Konkurrenz unsozialer Marktteilnehmer geschützt werden. Wer dagegen im internationalen Wettbewerb gegen soziale Mindeststandards verstößt, muss an den medialen Pranger gestellt und so vom Markt verdrängt werden.
In unseren Geschäften und Supermärkten gibt es immer mehr Produkte mit Bio-Siegel.
Warum gibt es eigentlich kein Gerechtigkeitssiegel, damit wir als Konsumenten nicht nur in ökologischer, sondern auch in sozialer Hinsicht Verantwortung übernehmen können?



S. 269 f.) Ältester Global Player: die römisch-solidarische Internationale

Wenn ich als Christ über die Globalisierung nachdenke [...]
Es ist deshalb, wie schon das ZVK sagt, die Aufgabe der Menschheit, "eine politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung zu schaffen, die immer besser im Dienst des Menschen steht und die dem Einzelnen wie den Gruppen dazu hilft, die ihnen eigene Würde zu behaupten und zu entfalten." (Gaudium et Spes 9)
Christlich verstandene Solidarität ist global.
Für die aktuelle Globalisierungsdebatte folgt daraus zweierlei. Erstens: Globalisierung, wenn sie verstanden wird als das zunehmende Zusammenrücken in der Einen Welt, ist für uns Christen kein Anlass für Untergangsprophetien, sondern in gewissem Sinne Anknüpfungspunkt für die universale Grundausrichtung und Vision unseres Glaubens. Völlig zurecht hat der Soziologe Franz-Xaver Kaufmann deshalb die katho. Kirche einmal als ältesten Global Player bezeichnet, der sich immer schon als Institution mit einem weltweiten Auftrag verstanden hat.
Zweitens: Weil wir im Glauben die globale Einheit der Menschheitsfamilie niemals losgelöst denken können von den Kategorien der gleichen Würde aller und der verpflichtenden Solidarität füreinander, müssen Christen die konkreten Globalisierungsverläufe stets daran messen, ob und inwieweit sie der Würde aller Menschen und ihren elementaren Rechten gerecht werden. Unser Leitbild ist dabei, mit unserem verstorbenen Papst Johannes Paul II. gesprochen, eine Globalisierung der Solidarität, eine Globalisierung der Gerechtigkeit:
"Das Gemeinwohl der ganzen Menschheit bedeutet eine Kultur der Solidarität mit dem Ziel, der Globalisierung des Profits und des Elends eine Globalisierung der Solidarität entgegenzuhalten."



S. 271) Neue Weltordnung existiert längst

Den Kern einer solchen Weltordnungspolitik sollten die Vereinten Nationen bilden sowie die bereits bestehenden internationalen Organisationen, die z.T., aber nicht sämtlich zum System der Vereinten Nationen gehören oder mit ihm vertraglich verbunden sind. In diesem Zusammenhang sind v.a. zu nennen: die Welthandelsorganisation (WTO), die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO).
Diese Organisationen sind erforderlich, um die Globalisierung der Wirtschaft durch eine Globalisierung der Politik zu ergänzen. Sie dienen dazu, der Entwertungsspirale des Politischen angesichts einer weltweit vernetzten Ökonomie entgegenzuwirken. Blickt man auf die Realität der internationalen Organisationen, muss man aber feststellen, dass sie ihre Aufgabe, Institutionen einer solidarisch ausgerichteten Global Governance zu sein, bislang nur in Ansätzen wahrnehmen.



S. 273 ff.) Mit Schützenhilfe vom IWF zur NWO – Marx und Merkel

Zu allem Überfluss lockte die Krise Währungsspekulanten an. Einige amerikanische und europäische Hedgefonds und Investmentbanken witterten leichte Beute. Wie ein Rudel hungriger Wölfe stürzten sie sich auf Thailand. Unter Einsatz von Milliarden Dollar spekulierten sie gegen die thailändische Landeswährung, den Baht. In einem verzweifelten Abwehrkampf setzte die thailändische Zentralbank rund 30 Milliarden Dollar ein und musste sich am Ende doch geschlagen geben und den Baht abwerten.
Die Währungsspekulanten hatten binnen weniger Wochen geschätzte acht Milliarden Dollar verdient und Thailand, das die ganze Region mitriss, in den Abgrund gestoßen.
In dieser Situation machte der IWF den nächsten Fehler. Mitten in der wirtschaftlichen Katastrophe, als der thailändische Baht 52 Prozent, der südkoreanische Won 42 Prozent und die indonesische Rupie 77 Prozent ihres Wertes verloren hatten, verordnete der IWF den Regierungen der Länder eine völlig überzogene Spar- und Hochzinspolitik, die deren Volkswirtschaften noch mehr schwächte und die durch die Krise erzeugten sozialen Probleme weiter verschärfte. In Thailand verdreifachte sich die Arbeitslosenquote, in Südkorea vervierfachte sie sich und in Indonesien verzehnfachte sie sich sogar. Insbesondere in Indonesien wurde dadurch das soziale Gleichgewicht völlig aus den Angeln gehoben. Es kam zu einem Ausbruch der Gewalt: Geschäfte wurden geplündert, die seit Jahren schwelenden ethnischen Konflikte eskalierten, und terroristische Anschläge nahmen sprunghaft zu. Immerhin: Diktator Suharto musste nach 32 Jahren an der Spitze Indonesiens abtreten.

Diese kritische Bilanz der IWF-Politik im Zusammenhang mit der Asienkrise darf allerdings nicht zu falschen Schlüssen führen. Nachher ist man immer schlauer, und auch der IWF hat längst eingeräumt, dass er Fehler gemacht hat. Es muss zudem auch gesehen werden, dass der IWF Indonesien, Thailand und Südkorea mit Krediten von mehr als 100 Milliarden Dollar geholfen und sie so vor dem Staatsbankrott bewahrt hat. Auch ohne die unfreiwillige Schützenhilfe des IWF im Vorfeld des Angriffs hätten Währungsspekulanten die asiatischen Tigerstaaten mit hoher Wahrscheinlichkeit attackiert. Mit Sicherheit aber wären die wirtschaftlichen und sozialen Folgen ohne die Hilfe des IWF noch verheerender gewesen.
Gerade die Asienkrise zeigt, dass die bei vielen Globalisierungsgegnern regelrecht verhassten internationalen Organisationen nicht bekämpft, sondern gestärkt werden müssen. Ohne multilaterale Institutionen ist Global Governance nicht möglich. Der Weg der Multilateralität ist gerade im Hinblick auf das Ziel einer sozial gerechten Welthandelsordnung alternativlos. Denn bei bloß bilateralen, zwischenstaatlichen Regelungen können sich, wenn es hart auf hart kommt, immer nur die Starken durchsetzen. Wer die Interessen der Armen in der Welt verteidigen und fördern will, tut deshalb gut daran, für stärkere globale Institutionen und für bessere weltweite Regelungen einzutreten.

Ich möchte deshalb unterstreichen, was Bundesstoiber Merkel in einem Kommuniqué anlässlich ihres Gesprächs mit den Vorsitzenden der wichtigsten internationalen Organisationen am 19. Dezember 2007 gesagt hat:

"Ohne einen fairen politischen Ordnungsrahmen sind Stabilität und Nachhaltigkeit des Globalisierungsprozesses auf Dauer nicht gesichert blahblahblah WTO, ILO, OECD, IWF, Weltbank, um die grundlegenden Werte der Sozialen Marktwirtschaft blahblahblah."

[Seit wann wedelt der Schwanz denn mit dem Hund? KKK und CDU – wer ist Hund und wer ist Schwanz?
Wedelt die Union etwa mit dem Machtapparat der Kommunionisten oder doch die "Kirche" mit der "Partei"?
Beides natürlich Geheimorganisationen mit esoterischem Innenleben, die exoterisch "nach außen kommunizieren".]



S. 276 ff.) WTO CEO Legionär Lamy und 350 Milliarden Dollar

Die Armen leiden oft genug darunter, dass der globale Markt von den wohlhabenden Ländern ausgehebelt wird. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Industrieländer die Exportwirtschaft der Entwicklungsländer durch die Errichtung von Schutzzöllen und Handelshemmnissen aller Art behindern, ihnen also Chancen verbauen.
Hier muss sich etwas ändern.
Ein beispielhafter Schritt in die richtige Richtung ist der 2001 von der EU-Kommission gefasste Beschluss, für die Importe aus den ärmsten Ländern der Welt bis 2009 alle Abgaben, Zölle und Quoten abzuschaffen. Weil am Ende eine vollständige Öffnung des europäischen Marktes für alle Produkte dieser Länder (außer Waffen) steht, hat der damalige EU-Außenhandelskommissar Pascal Lamy von der "Everything-But-Arms-Initiative" gesprochen.
Aber trotzdem bleiben erhebliche Wettbewerbsverzerrungen. Bei Agrarprodukten, einem der wenigen Felder, auf dem die Entwicklungsländer den Industrieländern ernsthafte Konkurrenz machen könnten, schlagen 50 Milliarden Euro Subventionen gewaltig zu Buche, mit denen die EU jährlich die europäische Landwirtschaft fördert.
Kritiker haben die EU-Initiative zur Förderung der armen Länder deshalb in "Everything-but-Farms-Initiative" umbenannt. Das ist aber fatal, wenn man bedenkt, dass 70 Prozent der Menschen in den Entwicklungsländern direkt oder indirekt von der Landwirtschaft abhängig sind.
("It should be remembered that Washington gave conditional support to Lamy's nomination in exchange for European support of Paul Wolfowitz as head of the World Bank." Daniel Estulin)

Natürlich plädiere ich nicht dafür, einfach hinzugehen und die Subventionen für die Landwirtschaft in Europa komplett abzuschaffen. Ich weiß sehr wohl, dass auch viele Bauern in Dtl., Österreich, Polen und den anderen Staaten der EU es nicht leicht haben und um ihre Zukunft kämpfen. Ohne staatliche Unterstützung müssten viele von ihnen aufgeben, was für unsere ländlichen Regionen in wirtschaftlicher, menschlicher, landschaftspflegerischer und kultureller Hinsicht eine Katastrophe wäre. Die Erhaltung einer lebensfähigen Landwirtschaft hat auch für die entwickelten Länder eine weit über den ökonomischen Aspekt hinausgehende Bedeutung.
Die in vielen Ländern betriebene Agrarpolitik hat allerdings in den letzten Jahrzehnten jedes vernünftige ordnungspolitische Maß verloren – zum Schaden nicht nur der armen, sondern auch der reichen Länder.
Die EU-Länder, die USA, Kanada und Japan subventionieren ihre Landwirtschaften jährlich mit rund 350 Milliarden Dollar, das ist fast eine Milliarde pro Tag. Die Industrienationen sind in einen regelrechten Subventionswettlauf eingetreten, bei dem es v.a. um Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt geht.
Nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen werfen die Industrieländer ihre Agrarprodukte zu Preisen auf den Markt, die um mehr als ein Drittel unter den Produktionskosten liegen.
Da können Entwicklungsländer nicht mithalten. Aber ihnen werden nicht nur die Exportchancen für ihre Landwirtschaftsprodukte geraubt, sondern es werden v.a. auch ihre landwirtschaftlichen Binnenmärkte bedroht, die mit den hochsubventionierten Agrarprodukten aus den Industrieländern überschwemmt werden.
Das führt zu der perversen Situation, dass wir schon seit vielen Jahren die Gleichzeitigkeit von Hunger und einer weltweiten Überproduktion an Nahrungsmitteln haben.

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