October 18, 2010

"9/11" und die sieben globalen Übel des Herrn M



Reinhard Marx 2008: Das Kapital

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Karl Marx: Das Kapital (auch als Hörbuch)


S. 278 f.) Der Schwindel um die Entwicklungshilfe

Wer in den Industriestaaten lebenswerte ländliche Regionen und Kulturlandschaften erhalten möchte und wer in den armen Ländern eine die Armutsbekämpfung wirksam befördernde ländliche Entwicklung möchte, muss den bäuerlichen Charakter der Landwirtschaft hier wie dort bewahren. Auch eine Abschaffung der staatlichen Beihilfen und Interventionen ist nicht erstrebenswert. Wir müssen aber ein neues Konzept für unsere Agrarpolitik entwickeln, das die derzeitige "Spirale" bei den Exportsubventionen durchbricht und stattdessen das ordnungspolitische Ziel verfolgt, den lokalen und regionalen Bezug der Landwirtschaft sowohl in den entwickelten als auch den unterentwickelten Ländern zu stärken.
Die Überwindung der einseitigen Exportorientierung in der Agrarpolitik ist erforderlich, um die regionalen Wirtschaftskreisläufe zu stärken und auf diese Weise in den unterentwickelten Ländern die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung zu verbessern zu können und in den entwickelten Ländern die landschaftspflegerischen und ökologischen Potenziale der Landwirtschaft besser ausschöpfen zu können. [...]

Im Augenblick üben die Industrieländer Druck auf die Entwicklungsländer aus, damit sie ihre Märkte für die Produkte und Dienstleistungen öffnen, bei denen die Industrienationen Wettbewerbsvorteile haben.
Bei den Produkten und Dienstleistungen hingegen, bei denen die Entwicklungsländer die Nase vorn haben, schotten sich die reichen Länder nach wie vor sehr stark ab.
In seinem Buch von 2006 Die Chancen der Globalisierung stellt Stiglitz fest, dass trotz sogenannter "Zollpräferenzen" für Entwicklungsländer die Industrieländer durchschnittlich viermal so hohe Zölle gegen Entwicklungsländer als gegen andere Industrienationen verhängen. Und er macht die Rechnung auf:

"Die Mindereinnahmen, die die reichen Länder den armen Ländern durch Handelshemmnisse bescheren, sind dreimal höher als die gesamte Entwicklungshilfe, die sie leisten." (Münchner Ausgabe S. 109)

Auch an diesem Missverhältnis sind aber eben nicht Markt und Freihandel schuld, sondern die politische Verhinderung von Markt und Freihandel.
Hätten die Entwicklungsländer tatsächlich die Möglichkeit, auf dem Weltmarkt ihre komparativen Vorteile auszuspielen, sähe die Welt anders aus.



S. 288 f.) "All we need is the right major crisis."

Es gibt substanzielle Voraussetzungen, die notwendigerweise erfüllt sein müssen, wenn das Wohl der Weltgemeinschaft realisiert werden soll. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) hat hierfür den Begriff der "globalen öffentlichen Güter" entwickelt. Es handelt sich hierbei um alle Güter, deren Nutzen über Landesgrenzen und auch Generationen hinausreicht. Dazu gehören etwa eine gesunde Umwelt, ein intaktes Weltklima, Frieden, Sicherheit, wirtschaftliche und soziale Stabilität oder kulturelles Erbe.
Von der Existenz solcher globalen öffentlichen Güter hängt die Zukunft der ganzen Menschheit ab.
Negativ gewendet müssen wir jedoch feststellen, dass diese globalen öffentlichen Güter und damit das Wohl der Weltgemeinschaft heute in vielfacher Hinsicht in Frage gestellt sind. Ethnische Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen nehmen zu. Globale Terrornetzwerke versetzen die ganze Welt in Angst und Schrecken. Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ist immer schwerer zu kontrollieren. Internationale Finanzmarktkrisen bringen Volkswirtschaften weltweit aus dem Gleichgewicht. Ein großer Teil der Weltbevölkerung lebt in extremer Armut. Der Klimawandel bedroht die Zukunft der Menschheit.
Man könnte analog zu dem Begriff der globalen öffentlichen Güter von globalen öffentlichen Übeln sprechen, die uns alle unterschiedslos bedrohen.
Mit der Frage, wie in Zukunft die Existenz der globalen öffentlichen Güter sichergestellt werden kann und wie die globalen öffentlichen Übel wirksam bekämpft werden können, steht und fällt die Zukunft der ganzen Menschheit. Es gibt deshalb gar keine Alternative zur Zusammenarbeit von allen Nationen und Völkern unserer Erde, es gibt keine Alternative zur Globalisierung von Gerechtigkeit und Solidarität. Karl Marx hatte das schon sehr früh erkannt und deshalb bereits 1864 die Erste Internationale gegründet.
Aber für Karl Marx und seine "Jünger" war Solidarität immer bloß Klassensolidarität. Hier liegt ein entscheidender Unterschied zum Christentum. Wir Christen beziehen alle Menschen in den Solidaritätsgedanken ein, niemand wird ausgeschlossen, weil eben alle Menschen nach dem Bild Gottes geschaffen sind. Eine solche allgemeinmenschliche Solidarität gibt es in der kommu. Ideologie nicht.



S. 291 ff.) Die Zehn-Gebote-Kapitalmarkt-Wirtschaft

Gegen Ende des ersten Bandes seiner Schrift Das Kapital stellt Karl Marx die Frage, wie es zum Kapitalismus hat kommen können. Er möchte also erörtern – und daran sieht man, dass er zeitlebens Philosoph geblieben ist – wo der Anfang, die Wurzel alles Übels liegt.
An dieser Stelle wird es plötzlich theologisch, denn er kommt auf den Sündenfall zu sprechen. Aber an dieser Stelle wird es auch, wie meistens, wenn er auf religiöse Motive Bezug nimmt, sarkastisch.

"Diese ursprüngliche Akkumulation spielt in der politischen Ökonomie ungefähr dieselbe Rolle wie der Sündenfall in der Theologie. Adam biss in den Apfel, und damit kam über das Menschengeschlecht die Sünde. Ihr Ursprung wird erklärt, indem er als Anekdote der Vergangenheit erzählt wird. In einer längst verflossnen Zeit gab es auf der einen Seite eine fleißige, intelligente und vor allem sparsame Elite und auf der andren faulenzende, ihr alles und mehr verjubelnde Lumpen. [...] So kam es, dass die ersten Reichtum akkumulierten und die letztren schließlich nichts zu verkaufen hatten als ihre eigene Haut. Und von diesem Sündenfall datiert die Armut der großen Masse, die immer noch, aller Arbeit zum Trotz, nichts zu verkaufen hat als sich selbst, und der Reichtum der wenigen, der fortwährend wächst, obgleich sie längst aufgehört haben zu arbeiten. [...] In der wirklichen Geschichte spielen bekanntlich Eroberung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt die große Rolle. In der sanften politischen Ökonomie herrschte von jeher die Idylle. Recht und 'Arbeit' waren von jeher die einzigen Bereicherungsmittel, natürlich mit jedesmaliger Ausnahme von 'diesem Jahr'. In der Tat sind die Methoden der ursprünglichen Akkumulation alles andere, nur nicht idyllisch." (MEW Bd. 23, S. 741 f.)

Der Kapitalismus ist für Karl Marx in sich schlecht. Es gibt für ihn keine Rechtfertigung dieses Systems, weil es seiner Auffassung nach einen gewaltsamen Ursprung und eine gewaltsame Natur hat. Weil es notwendig dazu führen müsse, die Menschheit gewaltsam in zwei Klassen zu teilen: einerseits die Klasse der Ausbeuter und andererseits die im Lauf der Geschichte immer weiter anwachsende Klasse der Ausgebeuteten.

Wenn Marx mit dieser Analyse Recht gehabt hätte, wenn diese Analyse noch heute gegenüber unserer Marktwirtschaft stimmen würde, dann müsste auch ich als Christ für ein anderes Wirtschaftssystem eintreten – nicht für das von meinem Namensvetter erdachte, aber eben für ein anderes als das marktwirtschaftliche. Die Marktwirtschaft wäre abzulehnen, wenn sie – wie es die Moraltheologie – eine occasio proxima, eine naheliegende, sich geradezu anbietende Gelegenheit zur Sünde wäre. Also wenn jemand konkret sagen müsste, 'ich kann nur wirtschaftlichen erfolgreich sein, wenn ich die Zehn Gebote nicht einhalte,' dann würde ich auf der Seite derer stehen, die die Marktwirtschaft entschieden ablehnen. Denn dann wäre der Mensch in einem System verfangen, das ihn nicht zu seinen eigenen Möglichkeiten führt, sondern ihn seiner Würde beraubt, in Freiheit das Gute zu tun. Ein solches System wäre das, was man in der Theologie der Befreiung eine Struktur der Sünde genannt hat. Diese Voraussetzung gilt im Kleinen wie im Großen.



S. 294) Die marxistische Heilslehre

Die Tatsache, dass der Marxismus trotz aller schrecklichen Verirrungen in dem sogenannten "real existierenden Sozialismus" bis heute zahlreiche Anhänger hat, zeigt, dass viele Menschen Marx' Bewertung des Kapitalismus als in sich schlechtes System Recht zu geben scheinen. Und diese Menschen kann man keineswegs als dumm, naiv und uninformiert abtun. Lange Zeit zog der Marxismus auch im freien Teil Europas gerade viele Intellektuelle, ja einige der klügsten Köpfe ihrer jeweiligen Generation in seinen Bann.
Im Jahr 2000 hat unser heutiger Papst Benedikt XVI., der damalige Kardinal Joseph Ratzinger, dazu geschrieben:

"Im Grunde war die marxistische Heilslehre in freilich unterschiedlich instrumentierten Variationen als die einzige ethisch motivierte und zugleich dem wissenschaftlichen Weltbild gemäße Wegweisung in die Zukunft da gestanden. Deshalb hat sie auch nach dem Schock von 1989 nicht einfach abgedankt. Man braucht nur einmal zu bedenken, wie wenig von den Schrecknissen kommunistischer Gulags die Rede, wie verloren die Stimme Solschenizyns geblieben ist: Über all dieses spricht man nicht. Eine Art Scham verbietet es. Selbst Pol Pots mörderisches Regime wird nur gelegentlich im Vorbeigehen erwähnt. Aber eine Enttäuschung ist doch geblieben und eine tiefe Ratlosigkeit." (Einführung in das Christentum, Vorwort)


S. 296) Expertenwissen in die Gesellschaft hinein kommunizieren

An vielen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten lernen die Studenten heute nur noch, innerhalb bestimmter Modelle komplizierte Rechnungen anzustellen, aber Grundlagenwissen wird kaum noch vermittelt, geschweige denn diskutiert. Kaum ein junger Volkswirt kennt heute noch die Bücher von Wilhelm Röpke, Walter Eucken, Alexander Rüstow oder Friedrich August von Hayek.
Das ist nicht nur ein intellektuelles Armutszeugnis, sondern auch gesellschaftspolitisch bedenklich, weil diese Leute nie gelernt haben, ihr Expertenwissen in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren. Es geht um das Handeln von Menschen, ein Handeln unter Knappheitsbedingungen.
Ich sehe deshalb mit Sorge die Tendenz zu einer gefährlichen Entwicklung, in der sich das, was wir in Deutschland und in anderen Ländern Marktwirtschaft nennen, wieder hin zu einem primitiveren Kapitalismus verändert.
Die internationale Finanzmarktkrise im Sommer 2008 zeigt uns überdeutlich, wie schnell wir auf abschüssiges Terrain geraten, wenn auf dem Markt Moral und Ethik ausgeklammert werden und wenn man meint, auf eine staatliche Ordnungspolitik verzichten zu können, die die Marktbewegungen in gemeinwohldienlichen Bahnen hält.
Ich möchte an der Differenz zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus festhalten. Wenn die Kapitalrendite das einzige Orientierungsmerkmal für eine Wirtschaft wird – und das wird sie leider immer mehr – dann werden die Menschen, die dabei unter die Räder zu kommen drohen, womöglich wieder zu marxistischen Utopien Zuflucht nehmen.



S. 302 f.) Statt marxi Gesinnungsabsolutismus neofeudal-peschi Solidarfaschismus

Ähnlich der nationalstaatlichen Rahmenordnung und den noch weiter zu entwickelnden europäischen Institutionen brauchen wir heute weltweite Regelungen, wir brauchen eine Globale Soziale Marktwirtschaft.
Dazu gehören faire Welthandelsbedingungen, eine Rahmenordnung für den internationalen Finanz- und Kapitalmarkt, die Garantie von unabdingbaren Arbeitnehmerrechten und vieles mehr. [...]
Auch die Kirche will mit ihrer Verkündigung des Evangeliums, ihrer Soziallehre sowie ihrem weltweiten sozialen und karitativen Engagement diese zentrale Aufgabe des 21. Jh.s mitgestalten. Das hat Papst Johannes Paul II. gegenüber der ganzen Welt 1991 noch einmal bekräftigt, also kurz nach dem Untergang des Sowjetkommunismus:

"Allen jenen, die heute auf der Suche nach einer neuen und authentischen Theorie und Praxis der Befreiung sind, bietet die Kirche nicht nur ihre Soziallehre und überhaupt ihre Botschaft über den in Christus erlösten Menschen, sondern auch ihren konkreten Einsatz und ihre Hilfe für den Kampf gegen die Ausgrenzung und das Leiden an."

Diesem Versprechen fühle ich mich als Bischof in besonderem Maße verpflichtet. Die Katho. Soziallehre gehört zum Verkündigungsauftrag der Kirche und des Bischofs. Sie ist geistlich begründet, theologisch fundiert und vernünftig und kann so für alle Menschen guten Willens einen wesentlichen Beitrag leisten zur Verteidigung und Entfaltung der Personenwürde aller Menschen.
Wir stehen vor einer wirklich epochalen Aufgabe, die besonders Europa herausfordert. Wenn wir ihr nicht gerecht werden, dann wird uns, davon bin ich zutiefst überzeugt, Karl Marx als Wiedergänger der Geschichte begegnen.

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