October 22, 2010

Kath. Antisemitismus + militanter Untertanengeist



Daniel Goldhagen 2003: Die Katholische Kirche und der Holocaust

pt 1 & pt 3 & pt 4 & pt 5 & pt 6 & pt 7 & pt 8 & pt 9


S. 26) Moralische Prüfung des Katholizismus dringend nötig

Wenn es ein Ereignis gibt, das nach einer gemeinsamen moralischen Bewertung schreit, dann ist es der Holocaust – aus diesem Grund werden diejenigen, die das auch nur stillschweigend andeuten, von jenen angegriffen, die schon ahnen, wie verheerend die Urteile ausfallen werden. Wenn es eine Institution und eine Gruppe gibt, die sich als Gegenstand einer solchen Untersuchung eignen und diese begrüßen sollten, dann sind es die katholische Kirche und ihr Klerus. Dies vor allem wegen des Selbstverständnisses der Kirche als moralische Institution und wegen ihrer herausragenden Rolle als lautstarke und wirkungsvolle moralische Stimme im öffentlichen Diskurs. Die Kirche selbst, die Katholiken, die Opfer sowie diejenigen, denen an diesen dreien gelegen ist, sie alle brauchen dringend eine moralische Prüfung der katholischen Kirche. Das scheint auf der Hand zu liegen. Doch wenn es um den Holocaust geht, scheut man davor zurück, über die Kirche und ihre Mitglieder zu urteilen. Warum?


S. 31) Arendt's and Sartre's Historical Science Fiction

Die von Arendt und Sartre errichteten Moralgebäude, so interessant sie auch sein mögen, beruhen auf historischen Fiktionen. Sartre selbst räumte dreißig Jahre nach dem Erscheinen seines Essays "Überlegungen zur Judenfrage" ein, das Buch sei nahezu reine Erfindung.
In einem berühmt gewordenen Interview mit Bernhard-Henri Lévy gestand er, dass "die Realität des Juden fehlte" und dass er sich für diese Realität oder die jüdische Geschichte nicht interessiert habe, weil er seinerzeit geglaubt habe, dass es so etwas nicht gibt.

Lévy, der Sartres Eingeständnis seiner Unwissenheit nicht glauben mochte, wandte ein:
"Aber als du die Überlegungen geschrieben hast, hast du doch eine Dokumentation zusammengestellt?"
Sartre erwiderte einsilbig: "Nein."
Lévy fragte nach: "Was heißt nein?"
Sartres Antwort war unmissverständlich: "Nie. Ich habe die Judenfrage ohne jede Dokumentation geschrieben, ohne ein jüdisches Buch zu lesen."
Sartres Unkenntnis der Antisemiten war so groß, dass er sogar die absurde Behauptung aufstellte, in der Arbeiterschaft ließe sich kaum ein Antisemit finden. Arendt wusste wenigstens einiges über Eichmann, da sie an seinem Prozess teilgenommen hatte, aber vieles von dem, was sie über ihn schrieb, waren ihre Empfindungen, die inzwischen reichlich und unanfechtbar als Unwahrheiten entlarvt wurden.
Wie könnte jemand ernsthaft behaupten, Arendts oder Sartres Ansichten, mögen sie moralisch noch so ansprechend sein, würfen ein Licht auf die Richtigkeit einer Erklärung für das Handeln der Täter?



S. 33) Ihr seid vom Teufel und nach dessen Lust wollt ihr tun

Ein anderer, ebenso grotesker antisemitischer Vorwurf, der auf die Bibel zurückgeht, ist der, die Juden seien Kinder des Teufels. Die Ansicht, die Juden seien Kinder oder Werkzeuge des Satans, erfuhr im mittelalterlichen Europa weiteste Verbreitung und bildete zusammen mit dem Vorwurf des Christusmordes die Grundlage für viele weitere Anschuldigungen und schädliche Handlungen gegen Juden. *)
Der christlich-biblische Vorwurf, der die Juden mit dem Teufel gleichsetzte, war ein geläufiges Thema bis in die NS-Zeit hinein und wurde von den Nationalsozialisten bereitwillig aufgegriffen, z.B. in einem Kinderbuch, das das hasserfüllte Gedicht "Der Vater des Juden ist der Teufel" enthielt.
Ein anderes bekanntes NS-Kinderbuch, "Der Giftpilz", verschmolz christlichen Antisemitismus mit dem der Nationalsozialisten, wie eine der Abbildungen daraus deutlich macht.
Diese auf den ersten Blick fantastisch erscheinenden Vorwürfe haben ihre Wurzel in den Evangelien. [...]
Die Autoren der Evangelien wollten die Juden und das Judentum abwerten, um ihren Zeitgenossen einzureden, die Juden hätten den Weg zu Gott verwirkt, womit sie ihren in den Evangelien häufig wiederkehrenden christlichen Anspruch untermauerten, die Nachfolger Jesu hätten die Juden als Volk Gottes abgelöst.
Wer wie diese Autoren die Juden zu einer "Schlangenbrut" oder zu Kindern des Teufels erklärt oder behauptet, alle Juden hätten sich und ihre Nachkommen freiwillig verflucht, oder irgendeine der übrigen zahlreichen antisemitischen Verleumdungen verbreitet, die in den Evangelien und den anderen Büchern der christlichen Bibel vorkommen, kann nicht als glaubwürdiger historischer Zeuge für das gelten, was die Juden getan und was sie über Jesus gedacht haben. Er kann nicht als verlässliche historische Quelle über das Verhältnis der Juden zu Jesus gelten, weil er den Juden offensichtlich feindlich gesinnt ist und damit voreingenommen gegen sie.

*) Johannes 8:44
Joshua Trachtenberg schreibt in seiner klassischen Untersuchung "The Devil and the Jews: The Medieval Conception of the Jew and Its Relation to Modern Anti-Semitism", Philadephia 1986: "Es verwundert denn auch nicht, dass Juden der übelsten Verbrechen bezichtigt wurden, weil Satan ihr Anstifter war. Chaucer gab in seiner 'Prioresses Tale' die Schuld an der angeblichen Ermordung eines christlichen Kindes durch einen Juden letztlich 'unserem ersten Feind, der Schlange Sathanas, die im Herzen der Juden ihr Wespennest hat.' Es war allgemein bekannt, dass der Teufel und die Juden zusammenarbeiteten. Deshalb war es so einfach, die Juden von vornherein für jede erdenkliche Missetat zu verurteilen, mochte es auch noch so unsinnig sein." (S. 42 f.)



S. 37 f.) Das gesamte Schlachtfeld strategischer Ausschaltung

Historisch ist der Antisemitismus oft in den Wunsch gemündet, Juden und ihren Einfluss aus der Gesellschaft auszuschalten. Wenn ich von eliminatorischem Antisemitismus oder – vor allem für die NS-Zeit – von einer eliminatorischen Verfolgung, einem eliminatorischen Programm oder einem eliminatorischen Angriff spreche, bedeutet das nicht unbedingt Töten, denn Töten ist nur eines von zahlreichen Mitteln der Ausschaltung. Eliminatorische Maßnahmen können von unterschiedlicher Art und Schwere sein, sie reichen von der Beschneidung der ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Spielräume über Ghettoisierung, Zwangskonversion (Zwangstaufe) und Ausweisung bis zur Massenvernichtung.
In den 30er Jahren bestand das eliminatorische Programm der Deutschen, das bereits voll im Gange war, nicht in massenhafter Tötung, sondern in rechtlichen Maßnahmen und sozialen Praktiken, die Juden in beruflichen und gesellschaftlichen Kontakten mit Deutschen ausschlossen. Das wiederum machte aus ihnen eine gehetzte, verelendete, sozial ausgegrenzte Gemeinschaft, mit dem Ziel, sie ganz aus Deutschland zu vertreiben.
Der allgemeine Ausdruck "eliminatorisch" sollte daher, wie ich in Hitlers willige Vollstrecker immer wieder klargemacht habe, nicht Tötung bedeuten, sondern den Wunsch oder das Bestreben ausdrücken, ein Gebiet auf diese oder jene Weise von Juden und ihrem wirklichen oder eingebildeten Einfluss frei zu machen – wobei die hauptsächliche antisemitische eliminatorische Maßnahme der Deutschen in ganz Europa allerdings ab Mitte 1941 die Massentötung war.

Christoph Türcke (mit Jesus argumentierend) zum Begriff "eliminatorisch": "Klar, jeder Antisemitismus ist in seinem konkreten kulturellen Kontext zu gewichten und längst nicht jeder erreicht den äußersten Grad.
Aber gerade deshalb taugt das Wörtchen 'eliminatorisch' einzig zur Charakterisierung eines bestimmten Grades, nicht einer bestimmten Art von Antisemitismus.
Grad ist momentaner Zustand, Art ist feste Eigenschaft. Ob Goldhagen dieser Unterschied klar ist? Jedenfalls lässt er nichts davon merken. Sein Verfahren besteht darin, den Gradbegriff, für den er reihenweise Belege hat, mit einem Artbegriff verschwimmen zu lassen, der sich durch nichts beweisen lässt. Allen, die ihm die Haltlosigkeit eines solchen Artbegriffs vorhalten, hält er das Beweismaterial seines Gradbegriffs entgegen. [...]
So springt er zwischen Grad und Art des deutschen Antisemitismus hin und her, wechselt stets die Farbe, auf der man ihn treffen will, und allein das ist es, was ihm so viel Ärger, Aufsehen und Ansehen gebracht hat – nicht die historische Faktenerhebung selbst."



S. 42) Der Cordon sanitaire zwischen Kirche und Regime

Die Annahmen von Verteidigern und etlichen Kritikern Papst Pius' XII. tragen ebenso wie ihre Irrtümer dazu bei, die eigentlichen Fragen zu verdunkeln. Zumeist geht es ausschließlich um den Papst, so als wäre der Papst die Kirche. Dabei ist Pius XII. ein zwar wichtiger aber doch nur kleiner Teil des Ganzen, und wenn man ihn in den Mittelpunkt rückt, lenkt man vom Verhalten der übrigen Kirche ab – also von seinem Vorgänger, Papst Pius XI., den nationalen Kirchen, den Bischöfen, Priestern und anderen. Die Verteidiger der Kirche, die sich nicht ausschließlich mit dem Papst befassen, picken sich das heraus, was die Kirche in ein günstiges Licht rückt, statt systematisch alle Teile der Kirche zu betrachten, auch jene, die falsch gehandelt haben. Außerdem sondern sie den Antisemitismus der Kirche durch einen künstlichen Cordon sanitaire vom Antisemitismus der Nationalsozialisten ab und erwecken dadurch den Eindruck, beides hätte nichts miteinander zu tun gehabt. Dieser Kunstgriff erlaubt es ihnen, die Kirche als moralische Institution zu rühmen und sie zugleich als politische Institution zu verteidigen, wobei sie unterschlagen, dass sie jeweils unterschiedliche Maßstäbe anlegen.


S. 50 ff.) Größter und umfassendster Angriff in einer langen Reihe vernichtender Attacken

Der extremen Langlebigkeit des Antisemitismus entsprechen seine Intensität und Wucht. Von allen in Europa verbreiteten Vorurteilen hat der Antisemitismus wohl den furchterregendsten Gehalt. Im Mittelalter war die Ansicht verbreitet, die Juden seien Diener des Teufels (Antichristen), in der Neuzeit, sie seien Untermenschen mit ungeheurer Macht, erblich darauf programmiert, die Menschheit zu vernichten (Menschheitsfeinde). Jahrhundertelang – und am verheerendsten im 20. Jh. – war der Antisemitismus eine Europa verbindende Kraft, ein gemeinsamer Hass, in dem sich sogar verfeindete Völker und Gruppen einig waren.
Der Antisemitismus hat alle anderen in Europa verbreiteten Vorurteile auch darin übertroffen, dass er eliminatorische Gewalt erzeugte, in Form von zwangsweiser Segregation, Vertreibungen und Massenmorden.
In ganz Europa haben nichtjüdische Bevölkerungen Juden – manchmal auf Jahrhunderte hinaus – vertrieben: 1016 von der Krim, 1182 aus Paris, 1290 aus England, 1306 aus Frankreich, 1348 aus der Schweiz, 1349 aus Ungarn, 1394 aus der Provence, 1422 aus Österreich, 1495 aus Litauen, 1497 aus Portugal, vom 14. bis ins 16. Jh. hinein aus weiten Teilen des Gebietes, das später Deutschland werden sollte. Spanien vertrieb – Gipfel der Niedertracht – seine Juden im Jahr 1492.

Wenn Juden sich in den genannten und anderen Teilen Europas niederlassen durften, wurden sie vielfach – auf Anforderung päpstlicher Bullen – in Ghettos abgesondert, um ihre Bewegungs- und Handlungsfreiheit und ihren Umgang mit Nichtjuden einzuschränken. Breslau richtete im Jahr 1266 ein Ghetto ein. In den folgenden 600 Jahren wurden u.a. in Städten im heutigen Österreich, in Böhmen und Mähren, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Polen, Portugal und Spanien Ghettos errichtet, darunter in so bedeutenden Zentren und Hauptstädten wie Frankfurt (1460), Krakau (1494), Madrid (1480), Prag (1473), Rom (1555), Venedig (1516) und Wien (1570). Russland beschränkte das Wohnrecht für Juden von 1835 bis zur bolschewistischen Revolution auf sein westliches Randgebiet, den sogenannten Ansiedlungsrayon.

Zum ersten von Christen begangenen Massenmord an Juden kam es im Jahr 414, als das frisch zum Christentum bekehrte römische Alexandrien die jüdische Gemeinschaft der Stadt auslöschte. Im Ersten Kreuzzug von 1096 erreichte der Massenmord an Juden einen tragischen Höhepunkt. Im Norden Frankreichs und in Deutschland zogen die Kreuzfahrer von Gemeinde zu Gemeinde und brachten 10.000 Juden um. Das Töten ging in den folgenden Kreuzzügen weiter, und in ganz Europa kam es auch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder zu solchen Morden. Die bedeutenderen Fälle kommen einem wie die Vorläufer des Holocaust vor: Während der Pest 1348 bis 1350 metzelten Deutsche die Juden von rund 350 Gemeinden nieder, wüteten in praktisch jeder Stadt und in jedem Dorf und machten Deutschland nahezu "judenrein". 1391 erschlugen Spanier Juden in allen Landesteilen, und in der Spätzeit der spanischen Inquisition wurden – oft durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen – ebenfalls viele Juden getötet.
In den Chmielnicki-Progromen ("Seine Ausbildung erhielt er in einem Jesuitenkolleg in Tschyhyryn. There is also no concrete evidence in regard to Khmelnytsky's early education. Several historians believe he received his elementary schooling from a church clerk until he was sent to one of Kiev's Orthodox fraternity schools. He continued his education in Polish at a Jesuit college, possibly in Jaroslaw, but more likely in Lviv, in the school founded by hetman Zólkiewski.") von 1648 bis 1656 brachten Ukrainer (damals Kosaken genannt) in Städten und Dörfern quer durch Polen über 100.000 Juden um "With (Fire and Sword").
Die russischen Pogrome von 1871 bis 1906 forderten zwar nur einen Bruchteil der Opfer dieser früheren Massenmorde, aber die westliche Welt war entsetzt.
Historisch betrachtet ist daher der Holocaust, begangen von antisemitischen Deutschen, die von antisemitischen Litauern, Ukrainern, Polen, Franzosen und anderen unterstützt wurden, lediglich der größte und umfassendste Angriff in einer langen Geschichte vernichtender Attacken. Er war aber nicht der letzte. Im katholischen Osteuropa wurden jüdische Überlebende unmittelbar nach dem Holocaust von ihren Nachbarn mit Feindseligkeit aufgenommen und in einigen Fällen massakriert. Am bekanntesten ist der Pogrom von Kielce, wo randalierende Polen im Juli 1946 vierzig Juden ermordeten und weitere verletzten. Wodurch wurde dieses Nachspiel zum Holocaust ausgelöst? Durch den aus dem Mittelalter stammenden christlichen Ritualmordvorwurf gegen die Juden. In den beiden ersten Nachkriegsjahren brachten Polen schätzungsweise 1500 Juden um.



S. 52 ff.) Die Hauptverantwortung

Weit länger als ein Jahrtausend animierte der Antisemitismus das gesellschaftliche, politische und kulturelle Leben der Völker im Westen, auf deren geistiger und emotionaler "Weltkarte" die Juden als Übeltäter einen herausragenden Platz einnahmen.
Ohne eine eingehende Betrachtung des Antisemitismus sowie seiner Ursachen und Folgen ist die politische und wirtschaftliche Entwicklung sowie die Sozial- und Kulturgeschichte Europas nicht zu verstehen.
Wie kommt es dann, dass dem Antisemitismus oft nur eine marginale Rolle in der Geschichte des Westens zugeschrieben wird? Selbst bei Themen, für die er von zentraler Bedeutung ist, kann er verschleiert, heruntergespielt oder ganz ausgespart werden – im 20. Jh. z.B. gilt er grundsätzlich als Eigentümlichkeit einer kleinen, krankhaften Sekte, genannt Nationalsozialisten. Die untergeordnete Bedeutung des Antisemitismus in den gleichsam als kanonisch anerkannten Darstellungen westlicher Geschichte könnte damit zusammenhängen, dass die Hauptverantwortung für die Erzeugung dieses beispiellosen westlichen Hasses beim Christentum liegt. Genauer gesagt, bei der katholischen Kirche.

Die katholische Kirche, der Antisemitismus und der Holocaust

Jahrhunderte lang hat die katholische Kirche, diese paneuropäische Institution mit welthegemonialen Bestrebungen, die zentrale geistige und moralische Lehrinstitution der europäischen Zivilisation, den Antisemitismus als integralen Bestandteil ihrer Lehre, ihrer Theologie und ihrer Liturgie in ihrem Innersten gehegt. Sie tat dies mit der göttlichen Rechtfertigung durch die christliche Bibel, dass die Juden Christusmörder und Werkzeuge des Teufels seien.
Die Kirche hat überall, wo ihre Priester predigten, Antisemitismus verbreitet und dafür gesorgt, dass es nicht bei einem kurzlebigen, territorial begrenzten und unbedeutenden Hass blieb, sondern dass sich daraus ein wirksamer und nachhaltiger religiöser Imperativ innerhalb der Christenheit entwickelte. Im mittelalterlichen Europa war der Antisemitismus nahezu universell.

Auch nach der Reformation im 16. Jh. hatte der Antisemitismus weiterhin Bestand, in der katholischen wie in der protestantischen Kirche sogar in annähernd vergleichbarer Weise. Darin waren sich selbst diese erbitterten Feinde einig. Martin Luther verkündete, die Juden seien "uns eine schwere Last, wie eine Plage, Pestilentz und eitel Unglück in unserem Lande." Das ist nur ein kleiner Auszug aus seinem "homiletischen Massaker" von 1543, "Von den Jueden und Iren Luegen", einem wüst antisemitischen Traktat, der, anknüpfend an die gerade fünfzig Jahre zurückliegende eliminatorische Kampagne der katholischen Kirche gegen die spanischen Juden, dazu aufrief, die Juden zu erniedrigen und zu unterdrücken, sie gar zu beseitigen, ihre Bücher zu zerstören und ihre Häuser und Synagogen in Brand zu stecken, "das jr und wir alle der unleidlichen, teuffelschen Last der Jueden entladen werden." (Die Wendung "homiletisches Massaker" stammt von James Carroll, "Constantine's Sword – The Church and the Jews", Boston 2001, S. 367.)

Luthers bösartiger Antisemitismus hinderte die katholische Kirche natürlich nicht daran, ihn und seine Anhänger als Ketzer und Juden zu diffamieren, und es ist nicht verwunderlich, dass die Katholiken in den Juden schließlich die Anstifter der Reformation sahen, die das sich auf nahezu ganz Europa erstreckende Monopol der Kirche auf das Christentum zerstörte. Durch die Dämonisierung der Juden wurde es vielen Katholiken auf allen Ebenen der Gesellschaft zur zweiten Natur, für jede Naturkatastrophe und jedes menschliche Unglück die Juden verantwortlich zu machen. König Philipp II. von Spanien, die treibende Kraft hinter der spanischen Inquisition und ein enger Verbündeter des Papsttums, erklärte 1556, dass "all die Häresien, die in Deutschland und Frankreich aufgetaucht sind, von Nachkommen der Juden gesät wurden, wie wir gesehen haben und in Spanien täglich neu erleben."

Antisemitismus führte zum Holocaust. Antisemitismus war ein fester Bestandteil der katholischen Kirche. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Antisemitismus der Kirche und dem Holocaust sollte bei jeder allgemeinen Darstellung des einen wie des anderen Themas im Mittelpunkt stehen. In "Constantine's Sword", seiner außergewöhnlichen Studie über diesen Zusammenhang, bemerkt James Carroll, dass "eine Untersuchung über die Ursprünge des Holocaust in der quälenden Vergangenheit der westlichen Zivilisation notwendig zugleich eine Untersuchung über die Geschichte des Katholizismus ist." Doch viele empfinden eine solche Untersuchung, so notwendig sie auch sein mag, als bedrohlich und nicht wünschenswert. Daher rührt die verbreitete und seit langer Zeit bestehende Praxis, von den zentralen Fragen abzulenken – durch Ausflüchte, Ausweichen und Verleugnen.

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