October 22, 2010

Das Axiom/Theo-Mem vom jüdischen Bolschewismus



Daniel Goldhagen 2003: Die Katholische Kirche und der Holocaust

pt 1 & pt 2 & pt 4 & pt 5 & pt 6 & pt 7 & pt 8 & pt 9


S. 54 f.) Judendiskriminierung seit der Antike

Pius XII. wurde 1876 als Eugenio Pacelli in Rom geboren. Er studierte Philosophie und wurde 1899 zum Priester geweiht. Seine kirchenpolitische Karriere begann 1901 mit seiner Berufung in das Staatssekretariat des Vatikans. Offenkundig für den von ihm gewählten Weg innerhalb der Kirche geeignet, wurde Pacelli mehrfach befördert, bevor er im Mai 1917 zum Erzbischof und Nuntius in Bayern ernannt wurde. Von 1920 bis 1930 diente Pacelli dem Vatikan als päpstlicher Nuntius, also als Gesandter, in Deutschland. 1929 folgte die Ernennung zum Kardinal, und im Februar 1930 wurde er als Kardinal-Staatssekretär der zweitmächtigste Mann im Vatikan – als Stellvertreter des Papstes verantwortlich für die Überwachung der Kirchenbürokratie und für die diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten.
Anfang März 1939 vollendete Pacelli mit seiner Wahl zum Nachfolger Pius XI. seinen Aufstieg, er nahm den Namen Pius XII. an. (Bis zur Papstwahl nenne ich ihn Pacelli, danach Pius XII.)
Kaum hatte er dieses höchste Amt angetreten, musste Pius XII. eine bedeutende Entscheidung treffen: was mit dem Entwurf der Enzyklika von Pius XI. geschehen solle. Die Entscheidung war bedeutend, weil "Humani generis unitas" ("Die Einheit des Menschengeschlechts", auch "Societatis unio") die Kirche endlich gezwungen hätte, öffentlich für die verfolgten Juden einzutreten, wurde darin doch ausdrücklich der Antisemitismus der Nationalsozialisten verurteilt und eine Einstellung der Judenverfolgung in Deutschland gefordert:

"[D]er Kampf für die Reinheit der Rasse [wird] schließlich einzig zu einem Kampf gegen die Juden [...] einem Kampf, der sich weder in seinen wahren Motiven noch in seinen Methoden – mit Ausnahme seiner systematischen Grausamkeit – von den Verfolgungen unterscheidet, denen die Juden seit der Antike allerorten ausgesetzt waren." (Passelecq/Suchecky: Die unterschlagene Enzyklika. Der Vatikan und die Judenverfolgung, Berlin 1999, S. 264)

Dass ein Papst hier, in Motiven und Methoden, eine direkte Verbindung zwischen Judenverfolgungen der Vergangenheit – mit deutlicher Anspielung auch auf die Verfolgungen durch die Kirche – und dem aktuellen Angriff der Deutschen auf die Juden herstellte, sollte all denen zu denken geben, die die Kirche von jeglicher Verantwortung für die Verfolgung seit den 30er Jahren und den Massenmord in den 40er Jahren freisprechen möchten.
Dass ein weiterer Papst seine Amtszeit damit begann, dass er dieses bemerkenswerte Dokument zur Verteidigung der Juden, das man heute als "unterschlagene Enzyklika" bezeichnet, in den Archiven begrub, und dass der Vatikan nach dem Krieg ein halbes Jahrhundert lang versuchte, sowohl diesen Akt der Unterschlagung durch Pius XII. als auch die Enzyklika selbst zu verbergen, verrät einiges über Pius XII. und über die Vertuschungsmanöver im Zusammenhang mit diesem Papst und dem Verhältnis der Kirche zum Holocaust. (Die Öffentlichkeit erfuhr durch die hartnäckige Arbeit von Georges Passelecq, einem belgischen Mönch, und Bernhard Suchecky, einem jüdischen Historiker, von diesem Dokument. 1995 konnten die beiden es in Frankreich publizieren.)



S. 56 ff.) Mystic politics – Politik aus Mythen

Die Kritiker haben erklärt, Pius XII. sei Hitlers Papst gewesen, er habe zugelassen, dass Juden direkt unter seinen
Fenstern von den Deutschen nach Auschwitz verschleppt wurden, und die Beschönigung dieser päpstlichen Sünde nach dem Krieg sei nichts Geringeres als ein Lügengebäude.

John Cornwell 1999: Pius XII. – Der Papst, der geschwiegen hat
Susan Zuccotti 2000: Under His Very Windows – The Vatican and the Holocaust in Italy (UHVW)
Garry Wills 2000: Papal Sin – Structures of Deceit

[...] Die Verteidiger Pius' XII. stellen ihn als einen Feind Hitlers und als Freund der Juden hin, der sich bemühte, so viele Menschen wie möglich zu retten. [...]
Diese gegensätzlichen Darstellungen beruhen darauf, dass die Verfasser mit unterschiedlichen Wertvorstellungen, Betrachtungsweisen und Fragestellungen an ihre Untersuchung herangehen sowie darauf, dass manche Tatsachen unterschiedlich gedeutet werden können. So hat Susan Zucotti jüngst einen zentralen Entlastungsmythos entlarvt, der ihrer Ansicht nach vom Papst und anderen bewusst fabriziert würde, unterstützt von Juden, die ihrerseits irregeführt wurden oder die mächtige Kirche günstig zu stimmen suchten – den Mythos, der Papst habe italienische Kirchenvertreter angewiesen, Juden in Kirchen und Klöstern zu verstecken.
Die Priester und andere, die tätig wurden, um vielen Juden das Leben zu retten, waren gewiss Helden, doch dafür, dass der Papst hier lenkend eingriff, findet sich kein Beweis. Die Autorin ist den Behauptungen, Pius XII. habe sich aktiv für die Juden eingesetzt, systematisch nachgegangen. Für das Ansehen Pius' XII. waren ihre Ergebnisse, die sich auf umfangreiche, akribische Forschungen stützen, vernichtend. [...]
Siehe z.B. Ronald J. Rychlak 2000: Hitler, the War, and the Pope (HWAP), S. 167-181, der als verbissenster Verteidiger des Papstes seine Leser regelrecht in die Irre führt, und
Pierre Blet 2000: Papst Pius XII. und der Zweite Weltkrieg (PZWK). [...]
Ihr Hauptbeweisstück ist die Weihnachtsbotschaft Pius' XII. von 1941. [...] Mag einem diese Erklärung auch lobenswert vorkommen, so ist ihre phrasenhafte Unbestimmtheit doch bemerkenswert.

Segnendes Schweigen


Weihnachten 1942 waren die Deutschen und ihre Helfer seit fast anderthalb Jahren dabei, in ganz Europa Millionen von Juden zu ermorden. Ihrem Ziel, die drei Millionen Juden des katholischen Polen zu vernichten, waren sie ein gutes Stück näher gekommen. Von den Millionen Juden in der Sowjetunion, die sie letztlich ermordeten, hatten die Einsatzgruppen, die deutsche Wehrmacht und andere deutsche Einheiten sowie die einheimischen Hilfstruppen der Deutschen bereits einen erheblichen Teil mit Maschinengewehren niedergemäht oder vergast. Unterstützt von den Einheimischen, hatten sie auch die meisten Juden im katholischen Litauen sowie in Lettland und Estland umgebracht, und sie hatten mit der Vernichtung der rumänischen Juden begonnen. Die deutsche Wehrmacht hatte die Mehrheit der serbischen Juden ermordet. Die katholische Slowakei und das katholische Kroatien waren seit Monaten dabei, ihre "Judenfrage" zu "lösen", die Slowaken, indem sie die Juden in den Tod deportierten, die Kroaten, indem sie das Töten selbst in die Hand nahmen. Die Deutschen hatten mit der Vernichtung der Juden aus dem großdeutschen Reich, das Österreich und das annektierte Gebiet der heutigen Tschechischen Republik mit einschloss, begonnen und waren gemeinsam mit ihren einheimischen Helfern dabei, die westeuropäischen Juden aus Belgien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden auszulöschen. Schon seit langem verschlangen die Todesfabriken mit ihren Gaskammern und Krematorien tagtäglich neue Opfer. In dieser ganzen Zeit, während die Deutschen und ihre Helfer auf dem gesamten Kontinent all diese jüdischen Männer, Frauen und Kinder töteten, verlor Pius XII. in der Öffentlichkeit kein Wort darüber. Obwohl er über die Vernichtung in groben Umrissen unterrichtet war – ihm war eine Flut von detaillierten Berichten über den anhaltenden Massenmord zugegangen – protestierte er nicht. Er schaute vielmehr mit unbeteiligtem Schweigen zu. Als er dann endlich etwas sagte, erwähnte er weder die Juden als Opfer noch die Deutschen oder die Nationalsozialisten als Täter, noch verurteilte er den Rassismus oder den Antisemitismus.
Pius XII. machte keinen Versuch, die europäischen Völker über das Ausmaß des Massenmords zu informieren oder sie aufzufordern, sich der Fortsetzung dieses Massenmords zu widersetzen. [...]
Zwei Wochen vor der Weihnachtsbotschaft des Papstes war der britische Gesandte beim Vatikan, Francis d'Arcy Osborne, vollkommen außer sich über das Schweigen des Papstes gewesen und hatte am 14. Dezember sogar zu dem ungewöhnlichen diplomatischen Schritt gegriffen, im Gespräch mit dem vatikanischen Staatssekretär Pius XII. unverblümt zu kritisieren. Osborne hielt fest, er habe den Vatikan praktisch aufgefordert, "im Hinblick auf das beispiellose Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das Hitler mit seinem Vernichtungsfeldzug gegen die Juden begeht, an seine Pflichten zu denken." Dennoch entschied sich Pius XII. in all den Jahren, in denen die Deutschen den Massenmord an den Juden begingen, immer wieder dafür, die Juden nicht öffentlich zu erwähnen.



S. 59 ff.) Antisemitismus-Predigten auf Kirchen- und Reichs-/Parteikanzeln gleichzeitig

Die wesentlichen Tatsachen, was das Verhalten des Papstes angeht, liegen klar zu Tage, mag ihre Auslegung auch umstritten sein. Noch als vatikanischer Staatssekretär hatte Pacelli sich beeilt, für die Kirche ein Abkommen über die Zusammenarbeit mit Hitlerdeutschland auszuhandeln, das Konkordat.
Im Juli 1933 abgeschlossen, unterzeichnet und der Welt bekannt gegeben, im September desselben Jahres förmlich ratifiziert, war das Konkordat der erste große diplomatische Triumph NS-Deutschlands. Die Kirche bestätigte darin unter anderem die Auflösung der demokratischen katholischen Zentrumspartei, der Vorläuferin der CDU, womit sie letztlich Hitlers Machtergreifung und der von Pacelli und Pius XI. begrüßten Zerstörung der Demokratie in Deutschland Legitimität verlieh. Kardinal Michael von Faulhaber berichtete den bayrischen Bischöfen, Pius XI. unterstütze Hitlers Maßnahmen. Er war in Rom gewesen und am 13. März zugegen, "als der Heilige Vater mit besonderer Betonung den Satz sprach:

'Bis in die letzten Zeiten blieb die Stimme des römischen Papstes die einzige, die auf die schweren Gefahren [hinwies], die der christlichen, fast bei allen Völkern eingeführten Kultur drohen.'

Also öffentliches Lob für Hitler."
Im März übermittelte Pacelli Hitler, in den Worten des deutschen Gesandten beim Heiligen Stuhl, des Vatikans "indirekte Anerkennung des entschiedenen Vorgehens des Reichskanzlers sowie der Regierung gegen den Kommunismus." (Klaus Scholder 2000: Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1, S. 348 f.) Das Konkordat trug dazu bei, das NS-Regime vor der Welt zu legitimieren und seine Macht im eigenen Land zu konsolidieren.
Weder als Staatssekretär noch später als Papst wies Pacelli die Geistlichen an, nicht länger den kirchlichen Antisemitismus zu propagieren, den sie in Predigten und in den letztlich seiner Kontrolle und damit seiner Verantwortung unterstehenden kirchlichen Zeitungen und sonstigen Publikationen verbreiteten.
Er hätte leicht darauf Einfluss nehmen können. [...]

Während des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion identifizierte er sich mit Deutschland, weil er im Bolschewismus den Todfeind der Kirche sah. Er hoffte noch auf einen Sieg der Deutschen über die Sowjets, als diese schon an der Seite Großbritanniens und der Vereinigten Staaten kämpften, um den Nationalsozialismus zu vernichten. Dass ein deutscher Sieg gleichbedeutend mit der Vernichtung zumindest der europäischen Judenheit durch die Deutschen gewesen wäre, schien die Begeisterung Pius' XII. für den deutschen Eroberungsfeldzug im Osten nicht zu dämpfen. *) Noch 1941 gestand er seine "besondere Liebe" zu den Deutschen, und er gewährte deutschen Soldaten regelmäßig Audienzen, was, wie ihm bewusst war, als Akt der Solidarität mit ihnen ausgelegt wurde. Er wollte nichts von den Juden hören, und als der polnische Botschafter 1944 das Thema anschnitt, wurde er zornig. Der Botschafter kam, wie andere alliierte Diplomaten, immer wieder darauf zurück, weil der Papst es ablehnte, öffentlich gegen den Massenmord Stellung zu beziehen oder mit dem deutschen Botschafter beim Vatikan, Ernst von Weizsäcker, darüber zu sprechen, den er regelmäßig empfing. Mehr noch: Auch nach dem Krieg ließ Pius XII. erkennen, dass sich an seiner Liebe zu Deutschland nichts geändert, ja, dass sie sich trotz der Verbrechen vieler Deutscher sogar vertieft hatte.

*) Die Tatsache, dass der Papst einem deutschen Sieg über die Sowjetunion den Vorrang gegenüber dem Schicksal der Juden einräumte, wird von Phayer, The Catholic Church and the Holocaust, S. 56-61, erörtert. Andreas Hillgrubers Position im deutschen Historikerstreit gab im Grunde nur der Politik Ausdruck, die Pius XII. in dieser Hinsicht tatsächlich verfolgte. Diejenigen, die sich inner- und außerhalb Deutschlands an dieser Debatte beteiligten, wiesen Hillgrubers Aussage zurück, die Deutschen sollten sich mit den deutschen Soldaten identifizieren, die die Sowjets an der Ostfront aufgehalten hätten, und ihnen dankbar sein.
Auch wenn Hillgruber das so nicht ausdrücklich sagte, wie seine Kritiker betonten: Je länger die Soldaten die Sowjets fern hielten, desto länger konnten Deutsche mit der Ermordung der Juden fortfahren.
All jene, die Hillgruber kritisierten, müssten logischerweise mindestens ebenso streng mit Pius XII. verfahren, der tatsächlich praktizierte, was Hillgruber nur nachträglich propagierte. Siehe Historikerstreit.



S. 62 ff.) The iron curtain of papist piety within the smokescreen of holy casuistry

Die Verteidiger des Papstes greifen zu verschiedenen Entlastungsstrategien, um von einer nüchternen Prüfung der wichtigeren Fragen abzulenken.
Es ist nicht überraschend, dass diese Strategien auch zum Standardrepertoire derer gehören, die die gewöhnlichen Deutschen von ihrer Verantwortung für den Holocaust und ihrer Beteiligung daran zu entlasten suchen.

Die erste Strategie besteht in direkter Entlastung. Man bagatellisiert die Kenntnisse, die der Papst vom Vernichtungsprozess hatte, schiebt sie auf einen späteren Zeitpunkt oder leugnet sie ganz. Kein Informationsnetz in Europa war ausgedehnter als das aus Kardinalen, Bischöfen, Gemeindepfarrern und Gemeindegliedern der katholischen Kirche. Die Alliierten und jüdische Organisationen übermittelten Pius XII. ihrerseits ihre oft beträchtlichen Informationen über die Massenmorde.
Über all dies verlieren seine Verteidiger jedoch kein Wort.
Würden sie zugeben, dass der Papst frühzeitig und teils aus erster Hand Zugang zu verlässlichen und oft aus mehreren Quellen stammenden Informationen über die Morde, die Lager und das den Deportierten zugedachte Schicksal hatte, würde sich die Frage, warum er nicht rascher, energischer und konsequenter zu Gunsten der Juden einschritt, noch stärker aufdrängen.
Die zweite Strategie der Verteidiger Pius' XII. besteht darin, darüber hinwegzugehen, hinter Kasuistik zu verbergen oder rundweg zu leugnen, dass er ein Antisemit war und dass diese Abneigung logischerweise Einfluss darauf hatte, wie er auf die einzelnen Phasen (Aberkennung der Rechte, Segregation, Vertreibung, Ghettoisierung und Massenmord) des auf die Ausschaltung der Juden zielenden Angriffs der Deutschen reagierte.
Diese Vertuschungs- und Leugnungsversuche sind umso merkwürdiger, als der Beweis für den Antisemitismus Pius' XII. aus einer unanfechtbaren Quelle stammt: von Pius XII. selbst.
In einem Brief, den er im April 1919, während der Münchner Räterepublik, verfasste und in dem er "die absolute Hölle" in der Residenz beschrieb, nimmt er kein Blatt vor den Mund:

"In der Mitte all dessen lungerte eine Bande von jungen Frauen von zweifelhaftem Aussehen, Juden, wie sie alle, mit provokativem Benehmen und zweideutigem Grinsen in den Büros herum. Die Chefin dieses weiblichen Abschaums war Leviens Gefährtin: eine junge Russin, Jüdin und geschieden, die für alles verantwortlich war. Und dieser Person musste die Nuntiatur ihre Ehrerbietung erweisen, um vorgelassen zu werden. Dieser Levien ist ein junger Mann von etwa 30 oder 35 Jahren, ebenfalls Russe und Jude. Blass, schmutzig, mit von Drogenmissbrauch gezeichneten Augen, rauer Stimme, vulgär, abstoßend, mit einem Gesicht, das gleichzeitig intelligent und verschlagen wirkt."

Diese Briefpassage ist die einzige, relativ ausführliche Äußerung Pius' XII. über Juden, die, nicht zur Veröffentlichung bestimmt, ans Licht gekommen ist. Festgehalten in einem vertraulichen Brief, wirkt diese Äußerung über eine Szene, bei der Pacelli selbst gar nicht zugegen war, als authentischer Ausdruck der Ansichten des späteren Papstes über die Juden. Da seine Äußerung nicht bloß irgendeine Bemerkung ist, sondern vielmehr einem Trommelfeuer von antisemitischen Stereotypen und Vorwürfen gleicht, in dem die dämonisierenden Ansichten über Juden mitschwingen, die damals in Deutschland, in ganz Europa und in der katholischen Kirche selbst gang und gäbe waren, scheint es umso glaubhafter zu sein, dass Pacelli hier nicht einer Augenblicksmeinung Ausdruck gab, nicht aus einer Laune heraus in krassen Antisemitismus verfiel, sondern eine beständige Einstellung in Worte fasste, die sich möglicherweise auch in anderen mündlichen oder schriftlichen Äußerungen niedergeschlagen hat. Eventuelle Beweise dafür haben aber entweder seine Gesprächspartner mit ins Grab genommen, oder sie werden in den Archiven des Vatikans sicher unter Verschluss gehalten.
Die Elemente von Pacellis antisemitischer Collage ähneln stark denen, die Julius Streicher der deutschen Öffentlichkeit bald in jeder Nummer seines berüchtigten NS-Wochenblattes Der Stürmer bieten sollte.
In Pacellis Brief steckt unausgesprochen die Vorstellung vom jüdischen Bolschewismus, die beinahe axiomatische Überzeugung, die sich bei den Nationalsozialisten, bei modernen Antisemiten überhaupt und auch innerhalb der Kirche findet, dass die wichtigsten Träger, ja die Urheber des Bolschewismus Juden seien. "Alle" kommunistischen Revolutionäre, behauptet Pacelli in diesem Brief, seien Juden. In der Weimarer Republik und in der NS-Zeit wurden Juden und Bolschewiki in antikommunistischen Hetzschriften zu einer Figur verschmolzen, und Kommunisten wurden mit verzerrten jüdischen Gesichtszügen als abstoßend, zügellos und blutrünstig dargestellt. Pacellis Beschreibung der kommunistischen Umstürzler in Bayern liest sich wie eine sprachliche Wiedergabe einer der unzähligen Karikaturen, die Hitlers antibolschewistischen Kreuzzug in Deutschland begleiteten.



S. 66) Episkopales Heilspathos, göttliche Geschichtsplanung und Sieg Heil!

Die grundlos aufgestellte Behauptung Pacellis über die Sündhaftigkeit der "Veräußerlichung und Verweltlichung" des "alttestamentlichen Bundesvolk[es]" konnte den bei vielen Deutschen herrschenden Antisemitismus nur vertiefen und sie in ihrer Ansicht bestärken, dass die Juden auf irgendeine Weise wenigstens aus der deutschen Gesellschaft entfernt werden sollten. Als wolle er seine Haltung auch dem Letzten noch klar machen, erinnerte er die Deutschen zu einem Zeitpunkt, als die Juden von den Deutschen erbittert verfolgt wurden, an das Volk, "das Ihn [Jesus] ans Kreuz schlagen sollte," und sprach von den Juden – gemeinschaftlich als Volk gefasst – als den "Kreuzigern" Jesu. Damit die Enzyklika die größtmögliche Verbreitung und Wirkung erzielte, ließ er sie am Palmsonntag 1937 von allen deutschen Kanzeln verlesen (was auch beweist, wie wenig Pacelli sich scheute, die Praktiken des Regimes öffentlich zu kritisieren). *)
Diese unverkennbar antisemitischen Äußerungen zusammen mit den bösartigen antisemitischen Polemiken in der jesuitischen Zeitschrift Civiltà cattolica (siehe S. 111-115), die von ihm kontrolliert und abgesegnet wurde, sowie sein Versäumnis, in der Zeit höchster Gefahr für die Juden den eingefleischten Antisemitismus der Kirche zu widerrufen, lassen keinen Zweifel daran, dass er ein Antisemit war. Ist das so erstaunlich?
Er war in der zutiefst antisemitischen Einrichtung Kirche aufgewachsen und hatte sein ganzes Erwachsenenleben in einer institutionellen Kultur verbracht, in deren Zentrum zum einen die in ihrer Heiligen Schrift begründete Überzeugung stand, Juden seien Christusmörder, zum anderen die Vorstellung, dass Juden für viele der angeblichen Übel der Moderne verantwortlich seien. Bemerkenswert wäre es gewesen, wenn er keine judenfeindlichen Vorurteile übernommen hätte.


*) "Mit brennender Sorge": "Aus der Totalität Seiner Schöpferrechte fließt seinsgemäß die Totalität Seines Gehorsamsanspruchs an die Einzelnen und an alle Arten von Gemeinschaften. Dieser Gehorsamsanspruch erfasst alle Lebensbereiche, in denen sittliche Fragen die Auseinandersetzung mit dem Gottesgesetz fordern und damit die Einordnung wandelbarer Menschensatzung in das Gefüge der unwandelbaren Gottessatzung.
15. Nur oberflächliche Geister können der Irrlehre verfallen, von einem nationalen Gott, von einer nationalen Religion zu sprechen, können den Wahnversuch unternehmen, Gott, den Schöpfer aller Welt, den König und Gesetzgeber aller Völker, vor dessen Größe die Nationen klein sind wie Tropfen am Wassereimer (Jes 40:15), in die Grenze eines einzelnen Volkes, in die blutmäßige Enge einer einzelnen Rasse einkerkern zu wollen." [...]

19. Der stufenweisen Entfaltung der Offenbarung entsprechend liegt auf ihnen noch der Dämmer der Vorbereitungszeit auf den vollen Sonnentag der Erlösung. [...] Für jedes nicht durch Vorurteil und Leidenschaft geblendete Auge leuchtet jedoch aus dem menschlichen Versagen, von dem die biblische Geschichte berichtet, um so strahlender das Gotteslicht der über alle Fehde und Sünde letztlich triumphierenden Heilsführung hervor. Gerade auf solchem, oft düsterem Hintergrund wächst die Heilspädagogik des Ewigen in Perspektiven hinein, die wegweisend, warnend, erschütternd, erhebend und beglückend zugleich sind.
Nur Blindheit und Hochmut können ihre Augen vor den heilserzieherischen Schätzen verschließen, die das Alte Testament birgt. Wer die biblische Geschichte und die Lehrweisheit des Alten Bundes aus Kirche und Schule verbannt sehen will, lästert das Wort Gottes, lästert den Heilsplan des Allmächtigen, macht enges und beschränktes Menschendenken zum Richter über göttliche Geschichtsplanung. Er verneint den Glauben an den wirklichen, im Fleische erschienenen Christus, der die menschliche Natur aus dem Volke annahm, das ihn ans Kreuz schlagen sollte. Er steht verständnislos vor dem Weltdrama des Gottessohnes, welcher der Meintat seiner Kreuziger die hohepriesterliche Gottestat des Erlösertodes entgegensetzte und damit den Alten Bund in dem Neuen Bunde seine Erfüllung, sein Ende und seine Überhöhung finden ließ.

20. Der im Evangelium Jesu Christi erreichte Höhepunkt der Offenbarung ist endgültig, ist verpflichtend für immer. Diese Offenbarung kennt keine Nachträge durch Menschenhand, kennt erst recht keinen Ersatz und keine Ablösung durch die willkürlichen "Offenbarungen", die gewisse Wortführer der Gegenwart aus dem sogenannten Mythus von Blut und Rasse herleiten wollen. Seitdem Christus der Gesalbte das Werk der Erlösung vollbracht, die Herrschaft der Sünde gebrochen und uns die Gnade verdient hat, Kinder Gottes zu werden – seitdem ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den sie selig werden können, als der Name Jesus. Kein Mensch – möge auch alles Wissen, alles Können, alle äußerliche Macht der Erde in ihm verkörpert sein – kann einen anderen Grund legen als den, der in Christus bereits gelegt ist. Wer in sakrilegischer Verkennung der zwischen Gott und Geschöpf, zwischen dem Gottmenschen und den Menschenkindern klaffenden Wesensunterschiede irgend einen Sterblichen, und wäre er der Größte aller Zeiten, neben Christus zu stellen wagt, oder gar über Ihn und gegen Ihn, der muss sich sagen lassen, dass er ein Wahnprophet ist, auf den das Schriftwort erschütternde Anwendung findet: "Der im Himmel wohnt, lachet ihrer."

34. Auf dem wahren und rein bewahrten Gottesglauben ruht die Sittlichkeit der Menschheit. Alle Versuche, die Sittenlehre und sittliche Ordnung vom Felsenboden des Glaubens abzuheben und auf dem wehenden Flugsand menschlicher Normen aufzubauen, führen früher oder später Einzelne und Gemeinschaften in moralischen Niedergang. Der Tor, der in seinem Herzen spricht, es gibt keinen Gott, wird Wege der sittlichen Verdorbenheit wandeln. Die Zahl solcher Toren, die heute sich unterfangen, Sittlichkeit und Religion zu trennen, ist Legion geworden. Sie sehen nicht oder wollen nicht sehen, dass mit der Verbannung des bekenntnismäßigen, d. h. klar und bestimmt gefassten Christentums aus Unterricht und Erziehung, aus der Mitgestaltung des gesellschaftlichen und öffentlichen Lebens Wege der geistigen Verarmung und des Niedergangs beschritten werden. Keine Zwangsgewalt des Staates, keine rein irdischen, wenn auch in sich edlen und hohen Ideale, werden auf die Dauer imstande sein, die aus dem Gottes- und dem Christusglauben kommenden letzten und entscheidenden Antriebe zu ersetzen. Nimmt man dem zu höchsten Opfern, zur Hingabe des kleinen Ich an das Gemeinwohl Aufgerufenen den sittlichen Rückhalt aus dem Ewigen und Göttlichen, aus dem aufrichtenden und tröstenden Glauben an den Vergelter alles Guten und Ahnder alles Bösen – dann wird für Ungezählte das Endergebnis nicht sein die Bejahung der Pflicht, sondern die Flucht vor ihr. Die gewissenhafte Beobachtung der zehn Gebote Gottes und der Kirchengebote, welch letztere nichts anderes sind als Ausführungsbestimmungen zu den Normen des Evangeliums, ist für jeden Einzelmenschen eine unvergleichliche Schule planvoller Selbstzucht, sittlicher Ertüchtigung und Charakterformung. Eine Schule, die viel verlangt, aber nicht zuviel. Der gütige Gott, der als Gesetzgeber spricht: "Du sollst," gibt in Seiner Gnade auch das Können und Vollbringen. Sittlichkeitsbildende Kräfte von so starker Tiefenwirkung ungenützt lassen oder ihnen den Weg in die Bezirke der Volkserziehung gar bewusst zu versperren, ist unverantwortliche Mitwirkung an der religiösen Unterernährung der Volksgemeinschaft.

Siehe auch Zuccottis Diskussion der Enzyklika in UHVW S. 21 ff.
Pierre Blet, einer der Herausgeber der von allem Heiklen bereinigten offiziellen kirchlichen Dokumentenedition zum 2. Weltkrieg (ZWK), erörtert in PZWK (S. 49 f.), einer erzählenden Zusammenfassung dieser Dokumentensammlung ebenso wie Rychlak in HWAP (S. 92 ff.), die Enzyklika nur als NS-kritisches Dokument, ohne den Antisemitismus Pacellis oder Pius' XI. zu erwähnen.
Überraschend stellt allerdings auch die internationale jüdisch-katho. Historikerkommission in ihrem 18-seitigen Zwischenbericht "The Vatican and the Holocaust – A Preliminary Report" die Enzyklika als "energische Verurteilung des Nationalsozialismus" dar und nicht als ein Dokument, das die Vorgehensweise des Regimes zwar energisch, aber doch nur beschränkt auf die Übergriffe gegen die Religion verurteilt.

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