November 20, 2010

Das zentrale christliche Motiv für den Holocaust



Daniel Goldhagen 2003: Die Katholische Kirche und der Holocaust

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S. 162 ff.) Ehrlichkeit und Frömmigkeit

Diejenigen, die behaupten, man müsse verstehen, wie es war, während der NS-Zeit in der Haut der Täter oder Zuschauer zu stecken, lassen zumeist einen wesentlichen Teil ihrer "Umstände" aus oder verschleiern ihn: nämlich die Ansichten, Urteile und Vorstellungen über Juden und über die einzelnen Komponenten des eliminatorischen Vorgehens gegen sie. Wenn man diese Ansichten, Urteile und Vorstellungen übergeht, nimmt man aber den vielleicht entscheidenden (und oft zur Verurteilung führenden) Faktor aus der Betrachtung heraus. Deshalb ist es besonders wichtig, systematisch und gründlich zu untersuchen, was Kleriker in ganz Europa über Juden und über die verschiedenen Bestrafungen dachten, die ihnen von ihren Verfolgern zugemessen wurden.
Hielten sie die Juden für unschuldig oder für schuldig? Hielten sie die Bestrafung für gerecht oder für ungerecht?

Schließlich verlangt eine moralische Abwägung, dass wir offen, deutlich und wohlbegründet urteilen. Seien wir ehrlich. Es wird doch dauernd geurteilt, ob nun über das Verhalten der katholischen Kirche, der Päpste, der Deutschen, der Polen, der Franzosen oder anderer in der damaligen Zeit. Auch von Historikern, die abstreiten oder zu verbergen suchen, dass sie urteilen. Oft wird oberflächlich geurteilt, und bei manchen kritischen Urteilen scheint Furcht mit im Spiel zu sein. Die Maßstäbe, die angelegt werden, bleiben zumeist unausgesprochen, sie sind in sich widersprüchlich, verworren und nicht auf Prinzipien begründet, kurz, es sind Maßstäbe, die nicht zu halten sind. Das Handlungsspektrum, über das geurteilt wird, beschränkt sich auf die ungeheuerlichsten Verbrechen, oft nur auf den Massenmord als solchen. Wenn es z.B. gelingt, Pius XII. vom Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord zu entlasten, glaubt man, er sei in jeder Hinsicht unschuldig. Viele sonstige zu missbilligende Handlungen von damals – ob sie nun von Pius XII., anderen Männern der Kirche oder solchen, die keine Männer der Kirche waren, begangen wurden – werden mit Stillschweigen übergangen, als seien sie nicht geschehen oder als verdienten sie es nicht, einer moralischen Prüfung unterzogen zu werden.

Oft geht man auf den Antisemitismus Pius' XII. und anderer nicht direkt und gründlich genug ein, oder man macht behutsam einen Bogen um ihn, so als handele es sich um einen relativ bedeutungslosen Überrest des sogenannten kirchlichen Antijudaismus. Oft werden die Maßstäbe so gewählt und das berücksichtigende Handlungsspektrum so begrenzt, dass die entlastende Absicht deutlich zutage tritt.
Diese mehrfache Verengung des moralischen Horizonts ist intellektuell unredlich, und intellektuell unredlich sich auch jene, die unmittelbar mit dem Tötungsakt als solchem zusammenhängen, so als hätten die Täter nicht auch Dinge getan, die diese Erklärungen eindeutig widerlegen – obwohl allgemein bekannt ist, dass die Täter gewohnheitsmäßig Dinge getan haben wie ihre Opfer vorsätzlich zu quälen, zu schlagen, zu erniedrigen und zu verhöhnen.

(Zu solchen Handlungen der Täter siehe Hitlers willige Vollstrecker bes. S. 440-443, 450-456 und 464-468.
Als Beispiele für Missdeutung der Grausamkeit der Täter – als sei sie den logistischen Zwängen der Mordaktion geschuldet – siehe Brownings "Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die 'Endlösung' in Polen", Reinbek bei Hamburg 1993, S. 134, und Raul Hilberg, "Täter, Opfer, Zuschauer. Die Vernichtung der Juden 1933-1945", Frankfurt a.M./ Wien 1992, S. 67 f. Als weitere Erörterung dieser Frage siehe Goldhagen, "Die Notwendigkeit eines neuen Paradigmas. Die Zeugnisse der Opfer, wichtige Beweise und neue Perspektiven in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Holocaust", in: "Die Fratze der eigenen Geschichte. Von der Goldhagen-Debatte zum Jugoslawien-Krieg", Berlin 1998, S. 80-102, hier S. 87 ff.)

Im Hinblick auf Pius XII. und die katholische Kirche legt man ebenso moralische Scheuklappen an, wie man es bei den Vollstreckern des Holocaust und den gewöhnlichen Deutschen getan hat.
Das beschränkte, zufällige, flüchtige, verwirrende und verwässerte Urteilen, das ständig stattfindet, ist himmelweit von der ernsthaften moralischen Beurteilung entfernt, die eine moralische Institution – und als solche stellt die katholische Kirche sich ja dar – verdient. Weil wir ohnehin nicht umhinkönnen zu urteilen, brauchten wir dabei eigentlich nicht zaghaft oder verstohlen vorzugehen. Weil Urteile auf jeden Fall gefällt werden, sollten wir gut urteilen. Wir sollten die Aufgabe des Urteilens zu einer wichtigen und geschätzten Praxis erheben, und wir sollten sie formgerecht, wohlbegründet und planvoll erfüllen.
(Die moralische Handlungsfreiheit der Akteure und unsere Pflicht, über sie zu urteilen, sie gerecht zu beurteilen und nicht auf beiläufige Weise, wie es sich für eine genuine moralische Beurteilung gehört, scheinen so offenkundig zu sein, dass man nur darüber staunen kann, dass dies alles bekräftigt werden muss – und gegen so große Widerstände.) Die empirische und analytische Grundlage für die Beurteilung der Kirche ist jetzt vorhanden. [...]
Der eliminatorische Antisemitismus – der Wunsch, die Gesellschaft auf irgendeine, nicht notwendig tödliche Weise von Juden und ihrem wirklichen und angeblichen Einfluss zu befreien, das zentrale Motiv für den Holocaust – war von der Kirche und ihren Geistlichen in Dtl. und im katho. Europa verbreitet worden.

S. 166) Es muss hier betont werden, dass Kommunizieren, Reden wie Schreiben, eine Handlung ist. Über einen anderen Verleumdungen zu verbreiten ist eine Tat, und zwar eine, die großen Schaden zufügen kann. Sie verändert die Welt in ungerechter Weise, indem sie andere ermuntert, schlecht über jemanden zu denken, der es nicht verdient hat, und kann sie sogar dazu bringen, dem Geschädigten weiteren Schaden zuzufügen. Üble Nachrede wird rechtlich als Tat betrachtet. Sind bestimmte gesetzliche Tatmerkmale erfüllt, handelt es sich um Verleumdung.



S. 168 f.) Mitverantwortung:
"Die einfache Volksfrömmigkeit ist der direkte Weg in den Himmel."

Diese Kategorien von Verfehlungen und die ihnen zugeordneten Kategorien von Schadhaftigkeit sind relativ unkompliziert. Es sind allgemeine Kategorien, die auf alle Personen und alle Taten zu allen Zeiten anwendbar sind. Die Ableitung aus den beiden Dimensionen von Verfehlung – ungerechte Schädigung und Billigung – und ihre intellektuelle Berechtigung sind unabhängig davon, ob wir die katholische Kirche betrachten. Sie könnten ebenso gut auf gewöhnliche Deutsche in der NS-Zeit wie auf amerikanische Südstaatler zur Zeit der Sklaverei und der Rassendiskriminierung angewandt werden. Sie können aber – und werden es auch – auf die katholische Kirche und ihre Mitglieder angewandt werden, um unseren Blick zu schärfen und ein Urteil über sie zu fällen. Zuvor ist jedoch der Hinweis angebracht, dass die eigenen Lehren und Maximen der Kirche, die in ihrem offiziellen, autoritativen Lehrtext, dem Katechismus der Katholischen Kirche, zu finden sind, unserer Darstellung aufs Genaueste entsprechen, nur dass sie in den theologischen Begriffen der Kirche formuliert sind. [...]

So wie wir daran festhalten, dass individuelle Handlungsfreiheit real ist und der Ursprung der Vergehen und der moralischen Verantwortung eines Menschen, so sieht auch die Kirche im "freien Willen" "die Wurzel der Sünde". So wie wir in der ungerechten Schädigung eines anderen ein tadelnswertes Vergehen sehen, so sieht auch die Kirche in der Sünde eine "Beleidigung Gottes" und eine "Verfehlung gegen Gott" sowie einen Verstoß "gegen die Vernunft, die Wahrheit und das rechte Gewissen", der "die Natur des Menschen und die menschliche Solidarität verletzt". Die Sünde ist für die Kirche "ein Wort, eine Tat oder ein Begehren im Widerspruch zum ewigen Gesetz." So wie wir Schuld oder Tadel als individuell und niemals als kollektiv betrachten, so erklärt auch die Kirche:

"Die Sünde ist eine persönliche Handlung." (§§ 1849 f.)

So wie wir der Meinung sind, dass jemand nicht schon dadurch der Verantwortung für sein Handeln enthoben ist, dass er gemeinsam mit anderen oder unter dem Befehl anderer gehandelt hat, so erklärt auch die Kirche:

"Wir haben [...] eine Verantwortung für die Sünden anderer Menschen, wenn wir daran mitwirken."

So wie wir der Meinung sind, dass man durch die ungerechte Schädigung anderer Schuld oder Tadel auf sich lädt, so erklärt die Kirche, dass wir "Verantwortung für die Sünden [anderer]" haben, wenn wir uns "direkt und willentlich daran beteiligen".
So wie wir der Meinung sind, dass man durch Unterstützung der ungerechten Schädigung, die ein anderer begeht, Schuld oder Tadel auf sich lädt, so erklärt die Kirche, dass wir "Verantwortung für die Sünden [anderer]" haben, wenn wir sie "gutheißen".
Die Kirche besteht unerbittlich darauf, dass man sich mit "jeder Haltung und jedem Wort, die [einen anderen] ungerechterweise schädigen könnten," "schuldig macht".



S. 170-173) Draft Code of Offenses Against the Peace and Security of Mankind

Strafrechtliche Schuld lädt derjenige auf sich, der nach nationalem Recht oder nach Völkerrecht ein Verbrechen begeht. Das Völkerrecht enthält zahlreiche Vorschriften, die für unsere Diskussion von Belang sind. Zu den Grundsätzen des Völkerrechts gehört die Bestrafung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Nach der Satzung des Nürnberger Gerichtshofs zählen zu den Kriegsverbrechen "Bruch des Rechts oder der Gebräuche des Krieges, wobei die Vergehen nicht auf Mord, Grausamkeiten oder Deportation der Zivilbevölkerung in Arbeitslager oder zu einem anderen Zweck aus dem oder in das besetzte Gebiet beschränkt sind." Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind "Mord, Ausrottung, Versklavung, Verschleppung und andere unmenschliche Taten, die sich gegen die Zivilbevölkerung richten, sowie die Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, wenn die Taten in Ausführung von oder in Verbindung mit Verbrechen gegen den Frieden oder Kriegsverbrechen begangen werden." In den Grundsätzen des Völkerrechts heißt es ferner: "Der Umstand, dass das nationale Recht keine Strafe für eine Tat vorsieht, die nach Völkerrecht als Verbrechen bestimmt ist, entlastet den Täter nicht von seiner Verantwortlichkeit nach Völkerrecht."

Im Statut heißt es ausdrücklich, dass "wer ein [...] genanntes Verbrechen geplant, angeordnet, begangen oder dazu angestiftet hat oder auf andere Weise zur Planung, Vorbereitung oder Ausführung des Verbrechens Beihilfe geleistet hat [...] für das Verbrechen individuell verantwortlich [ist]."

[...] Die erwähnten und andere internationale Statuten machen deutlich, dass es mittlerweile ein eingeführter Grundsatz des Völkerrechts ist, dass nationale Gesetze, die gegen Völkerrecht und Menschenrechtsnormen verstoßen, ungültig sind und Personen, die unter ihren ungesetzlichen Auspizien Verbrechen begehen, nicht schützen. (Dieses Prinzip lag auch den Nürnberger Prozessen zu Grunde: "Jede Person, die eine Tat begeht, die nach dem Völkerrecht als Verbrechen bestimmt wurde, ist dafür verantwortlich und wird der Bestrafung zugeführt. [...] Der Umstand, dass das nationale Recht keine Strafe für eine Tat vorsieht, die nach Völkerrecht als Verbrechen bestimmt ist, entlastet den Täter nicht von seiner Verantwortlichkeit nach Völkerrecht." Siehe International Law Commission, "Die normativen Grundsätze des Internationalen Rechts, wie sie nach der Satzung des Nürnberger Gerichtshofes und dessen Urteil anerkannt sind." Zu weiteren internationalen Normen, die für die Beurteilung der Verfehlungen des katholischen Klerus während der NS-Zeit relevant sind, siehe Generalversammlung der Vereinten Nationen, "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte", 12/10'48, insbes. Art. 2, 3, 5, 7-10, 12, 15-17, 21-23 und 27.) [...]


Das Verbrechen der freiwilligen Mitgliedschaft


Was die Juden betrifft, gilt für jeden, der Juden getötet oder an ihrer Tötung mitgewirkt hat, die strafrechtliche Schuld. (Selbst nach den in Deutschland zur NS-Zeit geltenden Gesetzen war es formal verboten, Juden zu töten. Wenn Deutsche in der späteren BRD wegen der Ermordung von Juden vor Gericht gestellt wurden, dann auf Grundlage der entsprechenden Gesetze. Siehe Ingo Müller, "Furchtbare Juristen – Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz", München 1987, S. 255 f.) Sie gilt für jeden, der Juden verfolgt oder auf andere Weise an ihrer Verfolgung mitgewirkt hat, beispielsweise mit der Durchführung von Rassengesetzen, die eindeutig gegen die Menschenrechte der Juden verstießen und daher verbrecherisch waren. Wer aus freien Stücken einer verbrecherischen Organisation beitritt, etwa der SS (jedenfalls nach 1933), ist ebenfalls strafrechtlich verantwortlich und daher in unserem Sinne strafrechtlich schuldig. Das Prinzip, dass die freiwillige Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation selbst ein Verbrechen ist, wurde in den Nürnberger Prozessen aufgestellt. ("Statut für den Internationalen Militärgerichtshof" [IMG], in: "Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem IMG Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946", 42 Bände, Nürnberg 1947, hier Bd. 1, S. 10-18. Siehe auch "Feststellung der Kriminalität von Gruppen und Organisationen" in der Anklageschrift, S. 29-99.) Die Begründung ist einfach. Wer aus freien Stücken einer Organisation beitritt oder in einer Organisation bleibt, von der bekannt ist, dass sie ihrem Wesen nach verbrecherisch ist oder deren Tätigkeit im Wesentlichen im kriminellen Treiben ihrer Mitglieder besteht, belastet sich mittels seiner freiwilligen Mitgliedschaft selbst mit dieser Kriminalität. Letztlich ist er Teil einer Verschwörung mit verbrecherischem Ziel. Wer willentlich eine solche verbrecherische Organisation unterstützt, ist strafrechtlich schuldig. Strafrechtliche Schuld gilt außerdem für einen Vorgesetzten, wie einen Papst oder Bischof, der es versäumt, einen Untergebenen von einer Straftat abzuhalten, wenn er von der Absicht weiß.

Moralische Schuld lädt derjenige auf sich, der, ohne ein Verbrechen zu begehen, eine verbrecherische Tat unterstützt. Der Begriff der moralischen Schuld ist unkompliziert. Jemand macht moralisch gemeinsame Sache mit dem Verbrecher. Mit seiner Unterstützung vertritt er die Ansicht, dass der Verbrecher gerecht gehandelt hat und dass er im Prinzip genauso handeln würde, wenn er dazu aufgefordert würde oder selbst die Gelegenheit dazu fände. Wer eine verbrecherische Handlung unterstützt, ist jedoch nicht strafrechtlich schuldig, weil wir niemanden wegen seiner Gedanken und Einstellungen als Verbrecher verurteilen oder ihm eine strafrechtliche Schuld zumessen. Wir können jedoch ein moralisches Urteil fällen. Wer das Verbrechen unterstützt, wer mit dem Verbrecher moralisch solidarisch ist, wird moralisch in das Verbrechen verwickelt. So wie er dem Verbrechen seine moralische Unterstützung gewährt, müssen wir ihn moralisch verurteilen. Ist der Täter ein Verbrecher, so ist sein Unterstützer ein moralischer Missetäter. Der Täter ist strafrechtlich oder gesetzlich schuldig. Sein Unterstützer ist moralisch schuldig. Was die Juden betrifft, trägt jeder, der den Massenmord oder andere verbrecherische Handlungen gegen sie unterstützt hat, moralische Schuld.



S. 175 f.) Dieselben Antworten und die Logik des katholischen Beifalls

Katholische Bischöfe und Priester in ganz Europa haben politische Vergehen auf mannigfaltige Weise unterstützt. Viele haben die Zerstörung der Demokratie und die Errichtung von Diktaturen unterstützt, auf deren Fahne Verfolgung und Schikane standen, und sie haben sie auch dann noch unterstützt, als sie Zeugen der Verfolgung wurden. Alles spricht dafür, dass der Wunsch nach Zerstörung der Demokratie und Unterstützung der Tyrannei in den jeweiligen Ländern nicht auf einige wenige Geistliche beschränkt war. Bei der in der Kirche vorherrschenden Ablehnung der Moderne, vor allem der politischen und kulturellen demokratischen Grundanschauungen und Institutionen, die mit der Moderne einhergingen, zusammen mit ihrer Überzeugung, dass der Bolschewismus unbarmherzig bekämpft werden müsse, war es nahezu sicher, dass Kleriker in Dtl., Italien und anderen Ländern die Tyranneien der Nationalsozialisten, Faschisten und sonstigen rechten Bewegungen mit Erleichterung, wenn nicht gar mit Beifall aufnehmen würden. [...] In Dtl., Kroatien, Frankreich, Italien und der Slowakei war die jeweilige katholische Kirche erfreut, als die demokratischen und rechtsstaatlichen Systeme durch autoritäre Regime ersetzt wurden, die sich die Verfolgung ihrer Gegner auf die Fahnen geschrieben hatten. *)
Die dt. katho. Kirche unterstützte darüber hinaus den von Dtl. angezettelten imperialistischen Krieg und ist auch dafür moralisch zu tadeln. Die Kirche teilte die außenpolitischen Ziele Dtl.s, einschließlich des politischen Vergehens des Angriffskrieges [...] Zwei Wochen, nachdem Dtl. mit dem Angriff auf Polen den ZWK ausgelöst hatte, gaben die dt. Bischöfe in einem gemeinsamen Hirtenbrief ihrer Ansicht Ausdruck, dass dieser aggressive Krieg zur Eroberung von Lebensraum gerecht sei:

"In dieser entscheidenden Stunde ermuntern und ermahnen wir unsere katholischen Soldaten, in Gehorsam gegen den Führer, opferwillig unter Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit ihre Pflicht zu tun. Das gläubige Volk rufen wir auf zu heißem Gebet, dass Gottes Vorsehung den ausgebrochenen Krieg zu einem für Vaterland und Volk segensreichen Erfolg und Frieden führen möge."

*) Donald J. Dietrich, "Catholic Citizens in the Third Reich: Psycho-Social Principles and Moral Reasoning", New Brunswick, N.J., 1988, schreibt: "Die Struktur und Ideologie der Kirche förderte jedoch die Festigung der NS-Herrschaft. Katholische Einstellungen deckten sich mit denen des NS-Regimes, dessen Popularität im Grunde darauf beruhte, dass es einen Kurs verfolgte, der bei den konservativen Eliten Anklang fand – Wiedererstarken der Nation, territoriale Expansion, Abschaffung des demokratischen Pluralismus und Ethnozentrismus." (S. 207) Zum Vatikan und Italien siehe Klaus Scholder, "Die Kirchen und das Dritte Reich. Vorgeschichte und Zeit der Illusion, 1918-1934", München 2000, S. 347 ff.

Die Bischöfe unterstützten einen dt. Sieg in diesem apokalyptischen Vernichtungskrieg auch dann noch, als sie wussten, dass ihre Landsleute mit jedem deutschen Vorstoß und schließlich mit jedem weiteren Tag, um den Dtl. seine Niederlage hinauszögerte, mehr Juden ermorden und damit Hitler und seine Gesinnungsgenossen ihrem Ziel näher bringen würden: der totalen Vernichtung des jüdischen Volkes. Gordon Zahn erklärt,

"dass der deutsche Katholik, der von seinen religiösen Autoritäten geistliche Orientierung und Anleitung im Hinblick auf den Dienst in Hitlers Kriegen erwartete, im Grunde dieselben Antworten erhielt, wie er sie vom NS-Herrscher selbst erhalten hätte."
(Gordon C. Zahn, "German Catholics and Hitler's Wars – A Study in Social Control", New York 1962, S.17, The American Catholic Sociological Society 1963/64.)

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