November 17, 2010

Bischöfliche Judengesetze mit Vorbildfunktion



Daniel Goldhagen 2003: Die Katholische Kirche und der Holocaust

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S. 140-144) Die gemeinsame Überzeugung von Christen und Rassisten

In Slowenien war Bischof Gregor Rozman von Ljubljana, der Hauptstadt des Landes, ein entschiedener Bundesgenosse der Deutschen. Er ließ katholische Streitkräfte aufstellen, die an der Seite der Deutschen und der Italiener kämpfen sollten und in denen katholische Priester bedeutende Funktionen ausübten.
Als Italien im September 1943 kapituliert hatte, half Bischof Rozman den Deutschen, ihrerseits die Kontrolle über Slowenien zu übernehmen. Er leitete außerdem die Schaffung einer slowenischen Heimwehr in die Wege, die sich unter dt. Führung an zahlreichen Verbrechen beteiligte, Massenmord inbegriffen.
Ein erhalten gebliebenes Foto zeigt, wie der Bischof, der örtliche SS-Kommandeur und der faschistische Präsident Sloweniens gemeinsam auf einer Tribüne die Truppenparade abnehmen.
Bischof Rozman rief die Slowenen wiederholt zur Unterstützung der Deutschen auf, so auch in einem Hirtenbrief vom November 1943, als die Deutschen dabei waren, ihre Herrschaft in Slowenien zu festigen.
Weshalb sollten die Slowenen ihr Schicksal an das der Deutschen knüpfen?

Nur "durch diesen unerschrockenen Kampf und fleißige Arbeit für Gott, Volk und Vaterland," erklärte der Bischof, "werden wir unter der Führung Deutschlands unsere Existenz und eine bessere Zukunft sichern, im Kampf gegen die jüdische Verschwörung."
(Siehe Mark Aarons and John Loftus, "Unholy Trinity – How the Vatican's Nazi Networks Betrayed Western Intelligence to the Soviets", New York 1991, S. 128 f.)

Mark Aarons and John Loftus 1998: Unholy Trinity – The Vatican, The Nazis, and The Swiss Banks

In Italien, wo zwei Päpste den Bolschewismus mit Juden gleichsetzten, billigte der Vatikan die judenfeindlichen Gesetze, die die faschistische Regierung in Anlehnung an die NS-Judengesetzgebung 1938 erließ, und sorgte selbst für ihre Verbreitung. Die italienischen Bischöfe griffen diese öffentliche Billigung auf.
(Siehe z.B. Zuccotti, UHVW, New Haven 2000, S. 54 f.)
Im Bulletin seiner Erzdiözese verkündete der Erzbischof von Florenz, einer der führenden Kardinäle Italiens, seinen Priestern und Gläubigen im Frühjahr 1939, die italienischen Rassengesetze stünden nicht im Widerspruch zu göttlichem Recht: Was die Juden angehe, könne "niemand die zerstörerische Arbeit vergessen, die sie häufig nicht nur gegen den Geist der Kirche, sondern auch zum Schaden der bürgerlichen Koexistenz geleistet haben."
Daher, so der Erzbischof, habe die Kirche "das Zusammenleben mit den Juden in jeder Epoche als gefährlich für die Gläubigen sowie für Ruhe und Frieden der Christenheit eingeschätzt." Deshalb hätten "die von der Kirche erlassenen Gesetze seit Jahrhunderten das Ziel verfolgt, die Juden zu isolieren" – Gesetze, die den Gesetzen des faschistischen Italien in vielerlei Hinsicht als Vorbild dienten. (Zitiert nach Kertzer S. 378 f.) [...]
Für den Historiker Guenter Lewy, der sich mit der katho. Kirche der NS-Zeit befasst hat, waren die dt. Katholiken dermaßen antisemitisch, in ihren Ansichten über die Juden von der eigenen Kirche derart vergiftet, dass – wenn die katho. Bischöfe den unwahrscheinlichen Schritt unternommen hätten, die Juden für unschuldig zu erklären – seiner Meinung nach "ihre Gläubigen [...] eine solche Sympathie für die Juden gar nicht verstanden [hätten]."

Die gemeinsame Überzeugung katholischer Geistlicher und Laien von der Schuld der Juden – ganz zu schweigen von dem eliminatorischen Charakter, der diesen Überzeugungen oft gemein ist – wurde wohl nirgendwo so deutlich wie in der ungarischen Stadt Veszprem, wo ein Flugblatt der Pfeilkreuzler, der ungarischen faschistischen Bewegung, nach der Deportation der örtlichen Juden einen Dankgottesdienst ankündigte:

"Mit Hilfe der göttlichen Vorsehung wurde unsere alte Stadt und Provinz von dem Judentum befreit, das unsere Nation besudelte. Es ist dies nicht das erste Mal in unserer tausendjährigen Nationalgeschichte, dass wir von einer Plage, die uns befallen hatte, befreit wurden.
Doch kein bisheriges Ereignis kann sich an Bedeutung mit diesem Ereignis messen, denn keinem bisherigen Feind, der uns mit Gewalt oder mit politischer Machtübernahme bedrohte, war es je gelungen, uns in dem Maße zu übermannen, wie es den Juden gelungen ist mittels ihrer vergifteten Wurzeln, die in unseren Volkskörper eindrangen und sich seiner bemächtigten.

Wir treten in die Fußstapfen unserer Väter, wenn wir uns versammeln, um unserem Gott, der uns aus jeder Not errettet, unseren Dank auszudrücken. Kommt alle zum Dankgottesdienst, der am 25. Juni um 11.30 Uhr in der Franziskanerkirche stattfindet."

Der Priester war bereit, den Gottesdienst in seiner Kirche abzuhalten, die an diesem Tag überfüllt war von ungarischen Katholiken, die ihrer Freude über die Deportation ihrer jüdischen Nachbarn Ausdruck geben wollten. Der zuständige Bischof untersagte den Gottesdienst nicht, zog es aber vor, nicht daran teilzunehmen. Nicht, weil er den Jubel nicht geteilt hätte, sondern weil unter den Deportierten auch einige vom Judentum übergetretene Christen waren. (Herczl S. 214 f.)

Wären die katholische Kirche, ihre nationalen Kirchen und ihre Geistlichen überzeugt gewesen, dass die Juden unschuldig waren, dass sie sich nicht gegen Christentum, Gesellschaft und Gott vergangen hatten, so hätten wir gewiss Kenntnis davon. Sie hätten es verkündet, öffentlich, in ganz Europa, in jedem einzelnen Land.
Stattdessen gab es einen stimmgewaltigen und anhaltenden Chor von Geistlichen, die die Juden verurteilten und zuweilen ihre Ausschaltung regelrecht feierten. Die wenigen vernehmlichen Ausnahmen unter den Kirchenmännern in diesem Verdammung fordernden Chor waren einsame Rufer. [...]

Eben weil die Kirche und ihre Führer der Ansicht waren, die Juden seien schuldig und eine stete Gefahr, kämpften sie im 19. Jh. in ganz Europa gegen deren Emanzipation, und seit die Kirche in diesem Kampf gegen die Juden geschlagen wurde, hat sie nicht aufgehört, ihre Niederlage zu beklagen. Dass kaum ein Kirchenvertreter es als grundsätzlich ungerechte Strafe empfand, als die Deutschen in den 30er Jahren versprachen, diese Emanzipation rückgängig zu machen, und das auch umzusetzen begannen, ist daher keine Überraschung.
Einige wandten sich gegen bestimmte Aspekte, z.B. gegen die gnadenlose Brutalität des tatsächlichen Ausschaltungsprogramms, und natürlich auch gegen die negativen Konsequenzen, die daraus auch für vom Judentum übergetretene oder mit Juden verheiratete Katholiken erwuchsen. Das entsprach aber keineswegs der Überzeugung, dass die Bestrafung an sich dem "Verbrechen" unangemessen sei oder dass die Juden schuldlos wären. Es hat natürlich Ausnahmen gegeben. Die wenigen in Dtl., die wie die dänische und die norwegische Kirche die Juden als unschuldig betrachteten, empfanden den eliminatorischen Angriff auf die Juden von Anfang an und in den späteren Phasen als ungerecht, ja als Verbrechen.



S. 147 f.) Religiöse und rassistische Dämonisierung

Aus dem rassistischen Antisemitismus der Nationalsozialisten und der meisten Deutschen folgte dagegen, dass die Juden unverbesserlich seien, dass ihr Hang zum Bösen vermeintlich angeboren sei und dass die große Bedrohung, die sie angeblich für andere darstellten, demnach so lange fortbestehen würde, wie es Juden gab. Deshalb gaben sich so viele Deutsche bereitwillig zum Massenmord her oder befürworteten ihn als die einzig mögliche "Endlösung" der so genannten Judenfrage, und deshalb erschien ihnen die geschichtlich beispiellose Maßnahme plausibel, die Juden nicht nur in ihrem eigenen Land, sondern weltweit aufzuspüren und zu vernichten.
Aus dem religiös begründeten Antisemitismus der Kirche folgte theoretisch, dass Juden sich ändern konnten. Die Kirche wusste schließlich aus ihrer eigenen Erfahrung mit Übertritten vom Judentum, dass Juden zu Christen geworden waren. Gewiss, die Dämonisierung der Juden durch die Kirche hatte sich im 20. Jh. in Ton und Inhalt an die Dämonisierung durch die rassistischen Antisemiten angeglichen, und es gab namhafte Kleriker, die sich eine rassistische Konzeption des Juden zu eigen machten und sie verbreiteten. Gleichwohl war es ja gerade die Möglichkeit, die Juden zu erlösen, die über Jahrhunderte hinweg die erniedrigende und kränkende, aber streng genommen nicht tödliche eliminatorische Haltung der Kirche gegenüber den Juden geprägt hat, und viele Geistliche in der NS-Zeit kamen möglicherweise deshalb zu dem Schluss, dass die Tötung der Juden weder notwendig noch richtig war.



S. 149 f.) Weshalb die Kleriker die Vollstrecker des Holocaust nicht exkommunizierten

Wenn die Kirche und ihr Klerus von der Schuld der Juden überzeugt waren, ist es in gewissem Sinne nahe liegend und wenig bemerkenswert, dass sie in den 30er Jahren des 20. Jh.s und sogar noch danach die Katholiken lehrten, ja sogar drängten, Antisemiten zu sein, und die nicht tödlichen Ausschaltungsmaßnahmen der Deutschen und ihrer Helfer im Allgemeinen guthießen. Ebenso wenig ist es bei dieser Ansicht bemerkenswert, dass sie sich dazu hergaben, diese offenen Ausschaltungsmaßnahmen auf mancherlei Weise zu unterstützen, z.B. dadurch, dass sie in Dtl. die Abstammungsurkunden zur Verfügung stellten und zuweilen die Maßnahmen ausdrücklich begrüßten. Es ist dann ebenfalls logisch, dass sie weder selbst die Juden verteidigt noch Katholiken dazu aufgefordert haben, nicht im Falle verbaler antisemitischer Attacken, nicht im Falle des rechtlichen und physischen Angriffs.
Auch ist es nicht verwunderlich, dass die katho. Kirche, zwei Päpste und die nationalen Kirchen die Juden nie für unschuldig erklärt haben. Warum hätten sie das tun sollen? Es entsprach nicht ihrer Überzeugung.
Von den nichttödlichen Ausschaltungsmaßnahmen, die zwar gewaltsamer und brutaler waren, im Grunde aber dem Wunsch der Kirche entsprachen, die Emanzipation der Juden rückgängig zu machen, gingen die Deutschen dann zum Massenmord über. Manche ihrer ehemaligen Anhänger im Klerus wandten sich nun von den Verfolgern der Juden ab, weil sie die neue Bestrafung nicht als gerecht betrachteten. Da die Geistlichen aber immer noch der Ansicht waren, die Juden seien schuldig und eine Gefahr, waren sie vermutlich hin- und hergerissen, wie sie sich verhalten sollten. Was sie aus der Sicht eines Nicht-Antisemiten allen hätten sagen müssen, nämlich dass die Juden unschuldig seien, dazu konnten sie sich nicht durchringen. Im Grunde konnten sie jene nicht tadeln, die wie sie selbst von der extremen Schuld der Juden aufrichtig überzeugt waren, die aber, gestützt auf die gemeinsame Überzeugung, bei der Zumessung der Strafe zu weit gingen.
Deshalb unterließ es die Kirche, die Vollstrecker des Holocaust zu exkommunizieren, zu verurteilen oder ihre Bestrafung zu fordern, obwohl sie andererseits sämtliche Kommunisten der Welt auf einen Schlag exkommunizierte, unabhängig davon, ob sie überhaupt Verbrechen begangen hatten.

[...] Ein Großteil der Kirche einschließlich der dt. Kirche war zumindest moralisch tief in den Massenmord verstrickt [...] Den Massenmord zu verurteilen hieß für die Kirchen letztlich, sich selbst zu verurteilen, war doch die Massenvernichtung nur eine logische, wenn auch nicht die einzige logische oder unausweichliche praktische Verlängerung des Antisemitismus, den sie selbst verbreitet hatten, und der vorausgegangenen Ausschaltungsmaßnahmen, die sie unterstützt hatten.
Mochten die Kirchenmänner diese extremste eliminatorische Bestrafung auch missbilligen, so war ihr Antisemitismus doch derart stark, dass sie sich zu Mitleid mit den Juden kaum aufraffen konnten. Die Bedeutung der Kirche und ihre jüngste Geschichte sprachen dagegen, für die Juden einzutreten. Bischöfe und Priester hätten schlagartig und unverzüglich zu Gunsten eines Volkes umschwenken müssen, dem sie starke feindselige Gefühle entgegenbrachten, das in ihren Augen für die Tötung Jesu verantwortlich war und mit dem ihm unterstellten Bolschewismus eine schreckliche Gefahr für den bloßen Bestand der Kirche und die Wohlfahrt der Menschheit darstellte.
[...] viele dieser Geistlichen warteten bis zum letzten Moment, wenn die erwarteten Deportationen unmittelbar bevorstanden, und handelten nicht beharrlich, mit Leidenschaft und Entschlossenheit. Andere handelten erst, als der letzte Moment bereits verstrichen war und die Täter schon Juden in enormer Zahl umgebracht hatten. Pius XII. intervenierte mit seinem Telegramm an Horthy zu spät, erst nachdem die kurz darauf siegreichen Alliierten ihn heftig dazu gedrängt hatten. Auch in der Slowakei intervenierte der Vatikan zu spät und in erster Linie aus Sorge um das Ansehen der Kirche in der Nachkriegszeit, wie sein eigener Vertreter zugab.



S. 151 f.) Die Idee hinter dem Massenmord

Wir sollten nicht den Fehler machen zu glauben, wie es die Kirche und ihre Verteidiger uns offenbar glauben machen wollen, dass es angesichts eines so ungeheuren, sich über einen langen Zeitraum entfaltenden Übels genügt hätte, einmal und dann nie wieder gegen einen Aspekt des Ausschaltungsprogramms der Deutschen Einspruch zu erheben oder sich allenfalls auf kritische Anspielungen auf das massenhafte Morden zu beschränken. Wir sollten nicht den Fehler machen zu glauben, als ließe sich die Zeit völligen Schweigens nachträglich dadurch bemänteln, dass man seine Stimme erhob, als das Töten längst begonnen hatte, als schon Millionen umgekommen waren. Mit einer einzigen, verspäteten Äußerung haben sich in der Regel jene Kirchenmänner begnügt, die tatsächlich an den Ausrottungsmaßnahmen Kritik geübt haben, wie z.B. fast alle französischen Bischöfe. Wer – insbesondere als politischer oder religiöser Führer – Taten verurteilt, die er als große Verbrechen betrachtet, wird sich in der Regel nicht mit einer einmaligen, kurzen und zudem späten Äußerung seines Missfallens begnügen, besonders dann nicht, wenn diese Verbrechen in seinem Namen verübt werden. Er wird unverzüglich und dann immer wieder energisch protestieren. Das ist hier jedoch nicht geschehen.

Und es trifft jedenfalls nicht für Pius XII. zu, der wenig mehr vorzuweisen hat als seine beiden kurzen und verspäteten öffentlichen Hinweise auf Menschen, die wegen ihrer Nationalität oder ihrer Abstammung umgebracht wurden, und seinen sehr späten Appell an Horthy. Während die Deutschen und ihre Helfer Millionen umbrachten, blieb Pius XII. mehr als ein Jahr lang vollkommen stumm. Er protestierte erst, als mit einem Sieg der Deutschen nicht mehr zu rechnen und er von den Alliierten stark unter Druck gesetzt worden war. Er beließ es in seiner Weihnachtsbotschaft 1942 bei einer vagen Bemerkung, die am Ende einer langen Ansprache in einer langen Liste anderer Punkte versteckt war. Er nannte weder die Täter (Deutsche) noch die Opfer (Juden) beim Namen, und er erwähnte mit keinem Wort die Idee, die hinter dem Massenmord steckte: den Antisemitismus. Er vermittelte weder ausführliche, ausreichende Information über den Massenmord, noch bot er Katholiken wie Nicht-Katholiken hinsichtlich der Notwendigkeit, etwas für die Juden zu tun, moralische Führung an. Dass er mit diesen matten, unvollständigen, ausweichenden Äußerungen in bewegender, leidenschaftlicher Weise für die Juden eingetreten wäre, ein Volk, das damals seiner totalen Ausrottung in Europa entgegenging, und dass diese Äußerungen ihn, Pius XII., als einen engagierten Verteidiger der Juden ausweisen sollen, ist schon auf den ersten Blick nicht glaubhaft.



S. 153 f.) Gefangene einer bösartigen Lehre:
Zu viel hätte ungeschehen gemacht werden müssen

Für die Juden einzutreten bedeutete auch, dass der Papst und die Bischöfe zumindest stillschweigend hätten anerkennen müssen, dass das, was sie ihre Gläubigen über die Juden gelehrt hatten, bösartig war. Damit hätten sie ihre religiöse Glaubwürdigkeit und Autorität aufs Spiel gesetzt. Und sie hätten so viel ungeschehen machen müssen. Lewy behauptet, dass ein Protest ihrer Bischöfe zu Gunsten der Juden bei der antisemitischen deutschen Bevölkerung wahrscheinlich auf taube Ohren gestoßen wäre, "denn die Kirche hatte ja jahrelang behauptet, dass die Juden dem Deutschtum schadeten. [...] Selbst wenn die Bischöfe vielleicht bereit gewesen wären, gegen die unmenschliche Behandlung der Juden zu protestieren, hätten sie feststellen müssen, dass sie Gefangene ihrer eigenen antisemitischen Lehren waren."
[...] Wer protestiert, wird ja unvermeidlich zum Fürsprecher desjenigen, den er für einen schurkischen Verbrecher hält, er identifiziert sich mit ihm, und was vielleicht psychologisch noch wichtiger ist, er wird oft von anderen mit ihm identifiziert. [...]
Wie schwer muss es der Kirche und ihrem Klerus psychologisch gefallen sein, nachdem sie ihre Gläubigen all die Jahre hindurch vor den ernsten Gefahren gewarnt hatten, die die Juden darstellten, nun auf einmal öffentlich für eben diese Menschen eintreten zu müssen. Deshalb haben sich z.B. so viele slowakische Priester geweigert, einen verspäteten Protest ihrer Bischöfe gegen die Deportation der Juden auch nur zu verlesen, obwohl der Protest durch seine Abfassung in lateinischer Sprache ohnehin nur noch eine Alibiveranstaltung war. [...] Für Menschen einzutreten, gegen die man feindselige Gefühle hegt, von denen man sich bedroht fühlt oder die man hasst, ist moralisch-psychologisch nicht einfach: Der innere Widerstand lässt sich nur schwer überwinden.
Die protestantischen Kirchen in Norwegen und Dänemark konnten gerade deshalb, weil die Juden in ihren Augen eindeutig unschuldig waren, ohne Schwierigkeiten und mit Leidenschaft für sie eintreten. Für die Juden als Menschen und nicht bloß als Objekte einer ungerechten Bestrafung. In Skandinavien haben die Juden "denselben menschlichen Wert und damit dieselben Menschenrechte wie alle Menschen".
(Zitiert in Carol Rittner, Stephen D. Smith und Irena Steinfeldt, "The Holocaust and the Christian World – Reflections of the Past, Challenges for the Future", New York 2000, S. 242.)

Über die paradoxen Folgen der kirchlichen Haltung gegenüber den Juden sollte man nicht einfach hinweggehen. Wohl stärker als jede andere große nicht-nationalsozialistische Institution in Europa lehrte die Kirche ihre Gläubigen ein hasserfülltes, entmenschlichtes und auf Ausschaltung zielendes Bild der Juden – sie seien ein schuldbeladenes und schädliches Volk – das viele ihrer Anhänger dazu brachte, die Verfolgung der Juden zu unterstützen und vielfach willentlich daran teilzunehmen. Manche Geistliche beteiligten sich sogar an der Vernichtung der Juden.

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