August 8, 2010

Marxistisches Bibelverständnis



Alois Schifferle 2009: Der Pius-Bruderschaft

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Henri Lefebvre – der produktivste franzö. marxi. Intellektuelle


S. 170) Romanistisches Geheimnetz des Antimodernismus

Unter der Bezeichnung "Integralisten" in die Geschichte eingegangen, nannten sich diese Gruppen "Integrale Katholiken". Sie bemühten sich, gegen die Bestrebungen der liberalen Katholiken und der Modernisten "die Integrität ihres Romanismus zu bekräftigen". Die Integralisten scheuten sich in diesem Zusammenhang nicht, aus persönlichen Beweggründen die liberalen Katholiken und die Modernisten zu denunzieren und beherrschten so Bücher, Broschüren und Zeitschriften. Das "internationale antimodernistische Geheimnetz" wurde von Mgr. Benigni aufgebaut und später durch Émile Poulats Nachforschungen als Erzählung einer berüchtigten integralistischen Verschwörung aufgedeckt. Letztlich war es ein Verdienst von Poulat, den Sachverhalt in seiner Vielschichtigkeit aufgehellt und das "Sodalitium Pianum" aufgedeckt zu haben.
Die kirchliche Reaktion des Antimodernismus stand in Parallele zur politischen Reaktion des National-Katholizismus um Charles Maurras und seiner Bewegung, der "Action Francaise".
Unter Pius X. nahm diese Bewegung theologische Formen an und wurde durchorganisiert.
Zu dieser Zeit entstand zudem ein kirchlicher Nachrichtendienst unter der Leitung von Benigni. Es handelt sich um das "Sodalitium Pianum", ein internationales antimodernistisches Geheimnetz von Mgr. Benigni, der von 1906-1911 als Unterstaatssekretär in der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten wirkte. Unter der Tarnbezeichnung "La Sapinière" wollte er dieser mit Geheimcode und Decknamen operierenden Organisation eine institutionelle religiöse Basis geben. Die Untersuchungen von Émile Poulat klärten den recht komplizierten Sachverhalt über den Kreis und seine Anhängerschaft auf. Er wies nämlich nach, dass dieser Kreis weit geringer war und die ideologische Welt des Integralismus nur teilweise umfasste.



S. 174 f.) Antimodernisten-Jagd – vor allem die Jesuiten

Die Kirche mit ihrer gefestigten Hierarchie und kultureller wie ziviler Tradition sollte verstärkt als Stützfunktion der Monarchie dienen.
Der unmittelbare Anstoß, dieser "Action Francaise" beizutreten, lag in der Herausforderung des Antiklerikalismus, der durch die Dreyfus-Affäre entstand, von Liberalen und Sozialisten getragen wurde und im Jahre 1905 die Gesetze entwarf, wonach religiöse Orden (vor allem die Jesuiten) ausgewiesen, freie Schulen und Vereine unterdrückt und die Trennung von Kirche und Staat gesetzlich gefordert wurde. Pius X. stand der "Action Francaise" nahe, die das Autoritätsprinzip und die Ordnung gegen den Linkskatholizismus verteidigte.
Die Linkskatholiken sahen ihrerseits in der "Action Francaise" eine unchristliche Konzeption des Staates, die darauf abzielte, die Staatsräson zum höchsten Wert zu machen. Der Papst war Maurras dankbar für seine Angriffe gegen eine von den antiklerikalen Parlamenten Frankreichs und Italien vertretene Art der Demokratie und dafür, dass er einen "Lehrstuhl des Syllabus" geschaffen hatte, um eine auf Tradition und die Hierarchie aufgebaute konterrevolutionäre Konzeption der Gesellschaft zu predigen. L. Kaufmann schreibt hierzu:

"Angesichts dieser Herausforderung scheint man [...] jedes Mittel zur Bekämpfung des Gegners für gut befunden zu haben: Denunziationen, falsche Verdächtigungen und systematische Verteufelungen, wie sie dann besonders im Zug der Antimodernisten-Jagd ("So tickt der Orden von Holocaust-Leugner Williamson: Schon Papst Pius X., der Ordenspatron der Piusbrüder, war ein Erzkonservativer. Er verurteilte Wissenschaftler zu Ketzern und Protestanten zu Feinden Christi – trotzdem ist er der einzige Papst der Neuzeit, der zum Heiligen erklärt wurde." René Schlott) auch in die Kirche eindrangen, wurden bald einmal als normal empfunden. Der Geist der Gewalt, der aus den Büchern des Chefs, Charles Maurras, sprach, erschreckte aber selbst im antimodernistischen Rom und provozierte deren Verurteilung durch das Heilige Offizium."

Pius X. und Pius XI. verurteilten die Intentionen der "Action Francaise", d.h., Pius X. stimmte im Jahre 1914 dem Beschluss des HO zu, sie zu verurteilen.


S. 178) Drei Worte

Lefebvre stellt fest, dass sich alle Päpste bis und mit Pius XII. gegen das Eindringen der französischen Revolutionsideale in die Kirche gewehrt hätten.
Erst mit Johannes XXIII. sei diese revolutionäre Ideologie in die römisch-katholische Kirche eingedrungen.
In Anlehnung an Charles Maurras könnte Lefebvre den Satz formuliert haben:

"Mit diesen drei Worten: der Kollegialität, der Religionsfreiheit und dem Ökumenismus haben die Modernisten erreicht, was sie wollten."

Walter Geppert vermutet, dass Lefebvre hier "ganz und gar im Bann der von der Action Francaise inspirierten Deutung stand", was daraus hervorgehe, dass er "wiederholt auf die drei Revolutionsideal und ihre konziliare und kirchliche Wirkung zurückkommt. Er nennt diese drei auch 'freimaurerische Prinzipien', denen die katholische Kirche das Tor geöffnet habe. So sagt er an anderer Stelle, dass man bei totaler Freiheit alles dem Gewissen überlasse und es keine Gesetze mehr gebe. Gewissensfreiheit bedeutet:

'Ich tue, was ich will. Ich anerkenne weder ein Gesetz noch eine persönliche Autorität.
Gleichheit heiße Ablehnung jeder Autorität. Brüderlichkeit sage: Es gibt keinen Vater mehr.'"

Hinter der gegenwärtigen Anhängerschaft Lefebvre, die sich nach Auffassung von F. Alt als eine gefährliche politische Mischung aus religiösem Faschismus, primitiven Antikommunismus und autoritärem Obrigkeitsstaatsdenken erweist, verbergen sich möglicherweise rechtsextreme Gruppen, die Lefebvre ihrerseits zu beeinflussen suchen.


S. 179 f.) Integristen, Freimaurer und Kommunisten

Diese Bewegung der Integristen, die sich erst seit einiger Zeit lautstark artikuliert, ist eine Reaktion auf das ZVK. In Marcel Lefebvre gewannen sie den ersten Bischof, der gewillt war, sich zum Sprecher ihrer traditionalistischen Richtung zu machen. Wenn Lefebvre heute die tridentinische Messe liest, gerät der Gottesdienst leicht zu einer Massenveranstaltung amerikanischen Zuschnitts. Auch Lefebvre lebt im Konflikt, seinen Glauben gegen den Papst und gegen die Bischöfe behaupten zu müssen. Er ist überzeugt, dass Gott mit ihm ist und die Wahrheit siegen wird. Ihr gemeinsames Ideal ist und bleibt eine glorifizierte Kirche des 19. Jh.s, die sich mutig, mit Geld und Intelligenz, jedem Trend modernen Denkens widersetzt. Ihr Staatsideal ist das Ancien Régime. Für diese franzö Integristen ist die Französische Revolution mit der Vorstellung von Freiheit und Gleichheit und der Erklärung der Menschenrechte ein Werk des Teufels, das Papst Pius VII. als solches brandmarkte und das auch im Syllabus von Pius IX. verworfen wurde. Eine spezifische Auslegung der christlichen Lehre und deren Wahrheitsgehalt wurde zum göttlichen Gebot und zur moralischen Pflicht.

Diese Lehrtradition steht im Widerspruch zu einem Konzil, das sich für die Gewissensfreiheit ausspricht und zu einem Dialog mit Andersdenkenden auffordert. Sie steht auch im Widerspruch zu jenem Priesterverständnis, das das soziale Engagement gegenüber privater Frömmigkeit und persönlicher Heiligkeit betont. Nach Meinung der Integristen rehabilitiert ein Konzil, das historisch-kritische Exegese zulässt, die von Papst Pius X. verurteilten Modernisten. Die Aussprache mit allen Menschen guten Willens führe daher zum Dialog mit den Religionen und zu einer Annäherung an den internationalen Kommunismus.
Sie glauben auch, dass mit der Anerkennung der Menschenrechte und der Demokratie als Herrschaftsform in den päpstlichen Verlautbarungen der Pontifikate Johannes' XXIII. und Pauls VI., die katholische Lehrtradition verletzt und ihre kontinuierliche Folge von Pius VII. bis Leo XIII. unterbrochen worden sei.

Die innere Krise des Katholizismus in Frankreich wird besonders deutlich durch die integralistischen Gruppierungen um Abbé Georges de Nantes, dem Begründer der "katholischen Gegenreformation". Abbé Georges de Nantes klagt die Kardinäle von Paris und Madrid (Marty und Enrique y Taracón) sowie Papst Paul VI. in seinem Buch "Libre accusations" der Verschwörung mit der Freimaurerei an.
Neben vielen anderen Gruppen reicht die integralistische Schattierung des französischen Katholizismus bis hin zu den Gruppierungen um Clemens XV. (Michel Collin), einer erneuerten Kirche und einem "kleinen Vatikan" in Clémery (Lothringen), die nach dessen Tod im Juni 1974 teilweise bei Lefebvre eine neue Heimat fanden.



S. 181 f.) Léon Bloy – katholischer Sprachphilosoph, Vater – Freimaurer

Die Kritik der Progressisten oder Progressiven wie die Kritik der Traditionalisten ist aber kein Produkt des letzten Konzils. Sie reicht vielmehr an den Beginn des 19. Jh.s, d.h. in die Geschichte des französischen Katholizismus zurück. Ihre Kritik an einem zu sehr der staatlichen Autorität ergebenen Christentum formulierte bereits im Jahre 1866 Léon Bloy (1846-1917, katholischer Sprachphilosoph with Freemasonic father). [...]
Für dieses Christentum gilt seinen Worten nach: "Jede Handlung und jeder Gedanke, die vom Programm her nicht vorgesehen sind, d.h., jeder natürliche und spontane Antrieb, wie großherzig er auch sei, wird als unpassend angesehen und kann eine verwerfliche Ausstrahlung nach sich ziehen."
Diese Richtung verlagert ihren Akzent von der Frage des Stellenwerts des Christentums in der Welt zugunsten eines konkreten Handelns in der Welt. Es geht ihr um den uneingeschränkten Einsatz für die Armen und Hilflosen.

Dieser Akzent findet sich wieder im philosophischen Personalismus um Emmanuel Mounier (1905-1950), einem Theoretiker des sogenannten linken Katholizismus in Frankreich der 30er und 40er Jahre.
Zur Wirtschaftskrise Anfang der Dreißigerjahre führte er aus:

"Gegenüber der Krise, deren Schwere sich viele verheimlichten, zeichneten sich zwei Erklärungen ab.
Die Marxisten sagten: klassenbedingte Wirtschafts-Strukturkrise. Verändert die Wirtschaft, und der Kranke wird wieder gesund! Die Moralisten hielten entgegen: Krise des Menschen, Krise der Moral, Krise der Werte. Ändert den Menschen, und die Gesellschaft wird wieder gesund! Wir wurden weder von den einen noch von den anderen befriedigt.
Spiritualisten und Materialisten scheinen uns am selben modernen Irrtum teilzuhaben: dem, der infolge eines zweifelhaften Cartesianismus willkürlich Körper und Seele, Denken und Handeln, den homo faber und den homo sapiens trennt. Wir behaupten unsererseits: Die Krise ist zugleich eine Wirtschaftskrise und eine geistige Krise, eine Krise der Strukturen und eine Krise des Menschen.
Wir nahmen nicht nur das Wort Péguys: 'Die Revolution wird moralisch oder überhaupt nicht sein' auf, sondern wir präzisierten:
'Die moralische Revolution wird wirtschaftlich oder überhaupt nicht sein.
Die wirtschaftliche Revolution wird moralisch sein oder sie wird nichts sein.'"

Im Sinne eines solchen philosophischen Personalismus erstrebten die progressiven Gruppen Frankreichs bis Mitte der 1960er Jahre einen neuen Aufbruch, der allerdings nicht eine Imitation der Revolution der Marxisten sein wollte. Trotzdem umschrieben sie ihren Aufbruch mit dem Wort "Revolution".
Mitte der Sechzigerjahre machte sich in Frankreich eine erneute Akzentverschiebung zugunsten der marxistischen Erklärung der Krise bemerkbar. Diese Tatsache führte in zahlreichen Gruppen dieses Katholizismus zu einer "linken" Politik. Hierzu sind die "Chrétiens critiques", die Redakteure der Zeitschrift "la lettre" und des Wochenblattes "Témoignage chrétien", ferner "Témoignage Chrétien-Midi", "Politique-Hebdo", "Echanges et Dialogues" und "vie nouvelle" zu zählen. Zur gleichen Zeit wurde die französische Vereinigung der christlichen Gewerkschaften in die "demokratische französische Vereinigung der Arbeit" umbenannt. In diesen Vereinigungen wird auch ein marxistisches Bibelverständnis gelehrt, das der allgemeinen Befreiung des Menschen dienen soll. Religiöses Leben im traditionellen Sinne dient bei den genannten Gruppen der Selbstreflexion. Stellvertretend soll hier Bernard Besret zu Wort kommen, der die Wirksamkeit seines Gebetes programmatisch wie folgt interpretiert:

"Mein Gebet hat keine magische Wirksamkeit.
Auch hier greift Gott nicht in den Lauf der Dinge ein, um ihn abzukürzen. Mein Gebet ist nur insofern wirksam, als es mir hilft mich zu bekehren und mich dem Einfluss des Geistes zu öffnen."

Nach Meinung der genannten Gruppen richtet sich ihre Absicht gegen einen stabilisierenden Machtapparat der Kirche. Ihre Intention liegt in der Bereitschaft, eine humanere Welt zu verwirklichen. Andererseits liegt die Frage nahe, was diese Gruppierungen tatsächlich mit dem klassischen Christentum an Gemeinsamkeiten noch aufweisen können.

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