August 8, 2010

Unfehlbarer Jesus = Glauben auf Befehl



Alois Schifferle 2009: Die Pius-Bruderschaft

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S. 196) Pius Sarto: Du glaubst, was ich dir sage. (Basta, Bastard!)

Der Auftrag der Kirche und die Freiheit des Menschen wurden durch Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Redemptor hominis eigens betont und durch die Berufung auf die Erklärung über die Religionsfreiheit wie folgt hervorgehoben:

"Wir spüren zutiefst den verpflichtenden Charakter der Wahrheit, die Gott uns geoffenbart hat. Wir empfinden insbesondere die große Verantwortung für diese Wahrheit. Die Kirche ist kraft der Einsetzung durch Christus Wächterin und Lehrerin der Wahrheit, dadurch dass sie ja ausgestattet ist mit einem besonderen Beistand des Heiligen Geistes, damit sie über die Wahrheit treu wachen und sie in ihrer ganzen Fülle unverfälscht lehren kann (vgl. Joh 14:26).
Indem wir diesen Auftrag erfüllen, schauen wir auf Christus selbst, der der erste Verkünder der Frohen Botschaft ist. Ebenso schauen wir auch auf seine Apostel, Märtyrer und Bekenner. Die Erklärung über die Religionsfreiheit macht uns in überzeugender Weise deutlich, wie Christus und folglich seine Apostel in der Verkündigung der Wahrheit, die nicht von den Menschen, sondern von Gott kommt ('Meine Lehre stammt nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat.'), d.h. vom Vater (Joh 7:16), obgleich sie alle Überzeugungskünste des Geistes einsetzen, eine tiefe Wertschätzung für den Menschen, für seinen Verstand, seinen Willen, sein Gewissen und seine Freiheit bewahren. Auf diese Weise wird die Würde der menschlichen Person Bestandteil jener Botschaft, wenn auch nicht in Worten, so doch durch das Verhalten ihr gegenüber. Diese Verhaltensweise scheint überein zu stimmen mit den besonderen Bedürfnissen unserer Zeit. Da sich nicht in allem, was die verschiedenen Systeme und auch einzelne Menschen als Freiheit ansehen und propagieren, die wahre Freiheit des Menschen findet, wird die Kirche um so mehr kraft ihrer göttlichen Sendung zur Wächterin dieser Freiheit, die Bedingung und Grundlage für die wahre Würde der menschlichen Person ist."

Lefebvre und die Traditionalisten fordern die Annahme bestimmter Wahrheiten durch alle Gläubigen.
Er übersetzt dann "Glauben auf Autorität hin" mit "Glauben kraft Rechtsvorschrift" und meint damit Glauben auf obrigkeitlichen Befehl Pius' X.



S. 197) Zur Gotteskindschaft berufen

In der Hl. Schrift lassen sich zwar keine Texte über die Religionsfreiheit finden, Religionsfreiheit allerdings wurzelt in der christlichen Offenbarung, in der Achtung, die Christus der menschlichen Freiheit in Glauben und Verhalten seinen Jüngern gegenüber entgegenbringt. Für die Christen bedeutet dies eine Verpflichtung, diese Freiheit besonders zu respektieren. Glaube wurde vom Konzil verstanden als jene freie Antwort auf Gottes Selbstoffenbarung, in der die Glaubensbemühung freiwillig vollzogen wird.
Denn der durch Christus erlöste und zur Gotteskindschaft berufene Mensch kann sich dieser Offenbarung nur dann hingeben, wenn er, durch den Vater gezogen, in Redlichkeit und Freiheit sich selbst überzeugt. Zwang, in welcher Form auch immer, ist mit dem Glauben unvereinbar. [...]
Glaube kann ebenso wenig zurückgeführt werden auf den Gehorsam gegenüber der kirchlichen Lehrautorität einer bestimmten historischen Epoche. Das Beispiel Lefebvre zeigt allerdings, dass hier der Gedanke des Gehorsams der kirchlichen Lehrautorität gegenüber verbindlich ist, wie er bis zum ZVK seine Gültigkeit besaß. Somit wird Glaube in diesem Phänomen mit der kirchlichen Lehrautorität Pius' IX. und Pius' X. umschrieben und an diese gebunden. Treue zu den Taufgelübden und Gehorsam gegenüber der Kirche sind jedoch notwendigerweise selbst auf den Glauben zurückzuführen, denn Treue zur Taufe und Gehorsam gegenüber der Kirche können ohne diesen Glauben nicht bestehen. Mit anderen Worten: "Der Glaube selbst ist auf nichts anderes zurückzuführen. Er beruht auf sich selbst und bewahrt sich selbst."



S. 198) Glasnost im Formalkommunionismus

"Anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als Kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt. Man darf die Ausschreitung der Inquisition nicht wiederholen. Wir leben nicht mehr in der Zeit der 'Christenheit'. Wir leben in einer Welt pluralistischer christlicher Bekenntnisse.
Die religiöse Freiheit, die allen zuerkannt wird, soweit dieselben die natürliche und gerechte öffentliche Ordnung nicht stören, ist auch Bedingung für die freie Ausübung der katholischen Religion." [...]
Auch innerhalb der Kirche kann keiner das Recht haben, über den Glauben anderer zu gebieten. Weder die kirchliche Obrigkeit noch die Kirchengemeinschaft insgesamt oder eine bestimmte Teilkirche kann das Recht haben, von jemandem zu verlangen, den Glauben anzunehmen oder zu bewahren. "Was vom Glauben im allgemeinen gilt, gilt ebenso sehr von bestimmten einzelnen Glaubenswahrheiten. Wenn jemand diese nicht glaubt, so gibt es keine Instanz in der Kirche, die ihm rechtens die Pflicht auferlegen könnte, diese doch zu glauben. Und niemand hat gegenüber einer bestimmten kirchlichen Instanz die Rechtspflicht, solche Wahrheiten doch zu glauben."



S. 199 f.) Christusbewusstsein

Der innerkirchliche Konflikt macht auch deutlich, dass Tradition im Lehramt auf eine lebendige Vermittlung durch Erfahrung angewiesen ist, um das lebendige Christusbewusstsein zu empfangen.
Dieses Christusbewusstsein macht dann den Glauben aus, den der Mensch nicht auf dem Wege über die kirchliche Obrigkeit, sondern aufgrund einer gelebten Praxis aus dem Glauben erhält.



S. 200) Heilsmysterium

Wahrheit zielt aus theologischer Sicht auf das Heil und die Ganzheit des Menschen und der menschlichen Gemeinschaft hin. Sie begegnet den Menschen in der Tiefe der Komplexität geschichtlicher Erfahrung. Die Wahrheit des Heilsmysteriums muss erlebbar bleiben. Wahrheit als erlebte Wirklichkeit meint konkret ein "In-der-Wahrheit-Sein". Christliche Wahrheit hängt nicht von der Aufstellung von Regeln und Doktrinen ab, die nachzuvollziehen sind, sondern ihre Artikulierung muss sich vom Erleben der Wahrheit in der Gemeinschaft herleiten. In dieser Begegnung erfährt der Mensch die Wirklichkeit Gottes in der Geschichte: als Begegnung mit Gott und als ein Fortschreiten auf Gott hin wird Wahrheit zu "Tradition", die der Interpretation bedarf.


S. 202 f.) Was hat Vorrang: Schrift oder Tradition?

Rahner und Vorgrimler stellten schon 1961 zur Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition fest:
"Nachdem die ursprüngliche Tradition noch in den ersten Generationen der Kirche einen Niederschlag in der Heiligen Schrift gefunden hatte, ist das in der Tradition weitergegebene und durch das Lehramt autoritativ verkündete Glaubensbewusstsein der Kirche über den Umfang (Kanon) und den Sinn der Schrift und in diesem Sinn die Tradition immer noch formale Norm der Interpretation der Schrift, sodass es in diesem Sinne zwei Erkenntnisquellen der Offenbarung gibt: Schrift und Tradition, ja die Tradition sogar einen logischen Vorrang vor der Schrift hat."
Das ZVK stellte in Art. 21 der Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung die Schrift als die höchste Richterschnur des Glaubens der Kirche dar, wozu Rahner und Vorgrimler (Im Auftrag Papst Pauls VI. führte er den Dialog mit Freimaurern.) einschränkend feststellten:

"Die Aussageintention wird aber beeinträchtigt durch das 'zusammen mit der Heiligen Überlieferung', einer Formulierung, die sich im Kapitel II nur dann zu voller Übereinstimmung bringen lässt, wenn die Tradition als bleibendes, lebendiges – und normatives – Schriftverständnis verstanden wird. Diese Intention wird insofern durchgehalten, als im folgenden von der Schrift allein die Rede ist. An ihr müssen sich Verkündigung, Predigt und Katechese orientieren."

Von traditionalistischer Seite befürchtet Siebel in diesem Ansatz des Konzils die "Aufhebung der kirchlichen Tradition als Regel, Orientierungsmittel und jeden Gläubigen verpflichtende Festlegung des Glaubens."
Diese Befürchtung wird durch ein Zitat Pius' XII. aus dem Rundschreiben über die Anpassung der Theologie an die Zeitirrtümer (Humani generis) vom 12. August 1950 unterstrichen, wo Pius XII. vor einer solchen Ausrichtung warnte, sich allein an der Schrift zu orientieren:

"Bei der Auslegung der Heiligen Schrift (HSc) will man die Analogie des Glaubens und der kirchlichen Überlieferung nicht gelten lassen. Mithin müsse die Lehre der Väter und des kirchlichen Lehramtes gleichsam auf die Waagschale der HSc gelegt (an der HSc gemessen) werden, die aber von den Exegeten auf rein menschliche Weise erklärt wird, statt eben die HSc nach der Auffassung der Kirche zu erläutern."

Es kommt aber auf das bleibende, lebendige und normative Schriftverständnis an, das aus der unmittelbaren Beziehung der Verkündigung auf die Offenbarung gewonnen werden kann. Gerade das ZVK bezog sich unmittelbar auf die Offenbarung. Es stand in der Nachfolge des Konzils von Trient (KvT), des EVK und versicherte im Vorwort der Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung:

"Gottes Wort voll Ehrfurcht hörend und voll Zuversicht verkündigend, folgt die Heilige Synode (HSy) den Worten des hl. Johannes: 'Wir künden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns erschien. Was wir gesehen und gehört haben, künden wir euch, damit auch ihr Gemeinschaft habt mit uns und unsere Gemeinschaft Gemeinschaft sei mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus (1 Joh 1:2-3).' Darum will die Synode in Nachfolge des Trienter und des EVK die echte Lehre über die göttliche Offenbarung und deren Weitergabe vorlegen, damit die ganze Welt im Hören auf die Botschaft des Heils glaubt, im Glauben hofft und in der Hoffnung liebt."


S. 204) Unfehlbarer Jesus

Analog zum EVK hob die dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium erneute die unfehlbare oberste Lehrgewalt des Papstes hervor: "Die der Kirche verheißende Unfehlbarkeit ist auch in der Körperschaft der Bischöfe gegeben, wenn sie das oberste Lehramt zusammen mit dem Nachfolger Petri ausübt."
Im Sinne des EVK war hier auch die Formulierung aufgenommen:

"Diese Unfehlbarkeit, mit welcher der göttliche Erlöser seine Kirche bei der Definierung einer Glaubens- und Sittenlehre ausgestattet sehen wollte, reicht so weit wie die Hinterlage der göttlichen Offenbarung, welche rein bewahrt und getreulich ausgelegt werden muß, es erfordert.
Dieser Unfehlbarkeit erfreut sich der Bischof von Rom, das Haupt des Bischofskollegiums, kraft seines Amtes, wenn er als oberster Hirt und Lehrer aller Christgläubigen, der seine Brüder im Glauben stärkt (vgl. Lk 22:32), eine Glaubens- oder Sittenlehre in einem endgültigen Akt verkündet. Daher heißen seine Definitionen mit Recht aus sich und nicht erst aufgrund der Zustimmung der Kirche unanfechtbar, da sie ja unter dem Beistand des Heiligen Geistes vorgebracht sind, der ihm im heiligen Petrus verheißen wurde."


S. 205) Wir und die Menschen

Das jüngste Konzil versuchte gegen einen Bruch innerhalb des Traditionsprozesses zu wirken. Es unterschied sich allerdings im Prozess der Zielfindung von früheren Konzilien durch das Eindringen der theologischen Diskussionen in die Urteilsfindung der lehrenden Kirche und durch das Aufbrechen von nicht zu beschwichtigenden theologischen Problemen in der lehramtlichen Spitze des kirchlichen Glaubensbewusstseins. In Lehramt und Tradition muss die Kirche nach Paul VI. die Existenz und das Wesen Gottes tiefer erkennen. Dies lässt sich dadurch erreichen, dass sich die Kirche eigens in ihr Wesen vertieft, indem sie "über sich nachdenkt, sich besser erkennt, sich besser definiert, sich zu sich selbst zurückruft, in sich selbst lebt" und tiefer in das Geheimnis Gottes eindringt und Christi Worte besser zu erfassen sucht.
In diesem Sinne ist die Kirche "wie nie zuvor in ihrer Geschichte darauf bedacht, ihre Umwelt zu erforschen, in die menschliche Natur, die menschliche Gesellschaft Einblick zu nehmen, kurz 'das menschliche Leben und die Welt von Grund auf und in jeder Hinsicht zu kennen.'"
Dieses Sich-Hinwenden zur Welt erweckt in traditionalistischen Kreisen den Verdacht, die Kirche hätte ihre Tradition verlassen, sodass es notwendig würde, zwischen "katholisch" und "konziliar" in der Kirche der Gegenwart zu differenzieren. Richten wir allerdings unseren Blick auf die Theologie und das Lehramt in der Zeit nach dem Konzil, so zeigen sich Anzeichen dafür, dass das Weitertragen des Überlieferten in der Treue zum Konzil und zur Kirche sowie die daraus neu entstandenen Impulse verkannt werden, wenn sie von traditionalistischer Seite als ein "Bruch mit der Tradition" bezeichnet werden.
Hiergegen hob Paul VI. selbst schon in seiner Enzyklika Ecclesiam suam vom 6. August 1964 hervor, dass es um eine Erneuerung der Herzen und nicht so sehr um eine Änderung der Verhältnisse in der Kirche ginge.



S. 206 f.) Kein zu freier Gebrauch von Worten

Bezogen auf das Traditionsverständnis im Lehramt stellte Paul VI. fest:

"Nein, es ist nicht Stolz, es ist nicht Anmaßung, nicht Eigensinn und nicht Torheit, sondern lichtvolle Sicherheit (klare Gewissheit) und unsere freudige Überzeugung, lebendige und echte Glieder des Leibes Christi geworden zu sein, berufene Erben des Evangeliums Christi, rechtmäßige Nachfolger der Apostel zu sein im großen Erbgut an Wahrheit und Sitten, welche die Katholische Kirche, wie sie heute ist, kennzeichnen, das unversehrte und lebendige Erbe der ursprünglichen apostolischen Überlieferung zu besitzen.
Wenn dies unsern Ruhm bildet oder, besser gesagt, der Grund, weshalb wir 'allezeit Gott danken' (Eph 5:20) müssen, bedeutet es andererseits unsere Verantwortung Gott gegenüber, dem wir Rechenschaft schulden für eine so große Wohltat, Verantwortung auch der Kirche gegenüber, der wir die Gewissheit geben müssen, dass wir den Wunsch und den Vorsatz haben, den Schatz – 'das anvertraute Gut', von dem der heilige Paulus spricht (1 Tim 6: 20) – zu bewahren."

Bei den lehramtlichen Entscheidungen stand Paul VI. in der Tradition der Kirche, wenn er in der Enzyklika Mysterium fidei zur Wahrung und Unversehrtheit des Glaubens sagte:

"Bei Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens ist es auch notwendig, eine exakte Ausdrucksweise beizubehalten, damit beim Gebrauch unpassender Worte (Gott verhüte!) uns nicht falsche Ansichten in den Sinn kommen, die den Glauben an die tiefsten Geheimnisse betreffen.
Hierher passt die ernste Mahnung des heiligen Augustinus über die verschiedene Art zu sprechen bei Philosophen und bei Christen (Theologen): 'Die Philosophen,' schreibt er, 'sprechen freimütig, ohne Scheu, religiöse Menschen zu verletzen, über schwer verständliche Dinge.
Wir hingegen müssen eine festgelegte Ausdrucksweise befolgen, um zu vermeiden, dass ein zu freier Gebrauch der Worte eine gottlose Ansicht verursachen auch über das, was sie bedeuten (De Civitate Dei, X, 23, Migne PL 41, 300). Die Norm zu sprechen (regula loquendi), die die Kirche in jahrhundertelanger Arbeit und mit dem Beistand des HG festgelegt und die sie durch die Autorität der Konzilien bestätigt hat und die Kennzeichen (Ausweis) und Banner der Rechtgläubigkeit geworden ist, muss heiliggehalten werden."

Die Linie der Tradition unterstreichend, fuhr der Papst fort:

"Niemand wage es, sie nach seinem Gutdünken oder unter dem Vorwand einer neuen Wissenschaft zu ändern. Wer könnte je dulden, dass die dogmatischen Formeln, die von den ökumenischen Konzilien für die Geheimnisse der heiligsten Dreifaltigkeit und der Menschwerdung gebraucht wurden, für die Menschen unserer Zeit nicht mehr geeignet gehalten werden und vermessen durch andere ersetzt werden müssten? In gleicher Weise kann man nicht dulden, dass jeder auf eigene Faust die Formeln antasten kann, mit denen das Konzil von Trient das eucharistische Geheimnis zu glauben vorgelegt hat, weil diese und die anderen Formeln, deren sich die Kirche bedient, um die Dogmen des Glaubens vorzulegen, Begriffsinhalte ausdrücken, die nicht an eine bestimmte Kulturform, nicht an eine bestimmte Phase wissenschaftlichen Fortschritts noch an diese oder jene theologische Schule gebunden sind, sondern das darstellen, was der menschliche Geist über die Wirklichkeit in der universalen und notwendigen Erfahrung ausmacht und mit geeigneten und bestimmten Worten bezeichnet, die der Umgangssprache oder der gehobenen Sprache entnommen sind. Deswegen sind diese Formeln den Menschen aller Zeiten und aller Orte angepasst. In der Tat können diese Formeln mit Nutzen klarer und tiefer erklärt werden, nie aber in einem anderen Sinn, als in dem sie gebraucht wurden, sodass mit dem Fortschritt des Glaubensverständnisses die Glaubenswahrheit unberührt bleibt. Denn das EVK lehrt, dass man in den heiligen Dogmen immer an der Bedeutung festhalten muss, die die heilige Mutter Kirche einmal für gültig erklärt hat, und es ist nicht erlaubt, von dieser Bedeutung abzugehen unter dem Vorwand und im Namen eines tieferen Verständnisses (Const. dogm. De Fide cathol. c. 4)."

Nach diesen zitierten Aussagen kann es für die Offenbarung in Schrift und Überlieferung keine "Auswahl" durch die kirchliche Autorität von heute geben. Das, was auch heute als Norm des Glaubens zu betrachten ist, wird nach obiger Meinung vom gegenwärtigen Lehramt nicht anders festgestellt, als dies im Lehramt der Vergangenheit geschah. Ein Unterschied besteht allerdings im Verhältnis zu bestimmten Traditionen, die entweder nicht zur allgemeinen Lehre der Kirche gehören oder mit neuen Erkenntnissen in der Erfassung von Glaubenswahrheiten vom heutigen Lehramt geprüft, anerkannt oder verworfen werden. [...]

"Jede Erneuerung der Kirche besteht wesentlich im Wachstum der Treue gegenüber ihrer eigenen Berufung."



S. 208 ff.) Geist der Wahrheit und Sauerteig

Im Vertrauen auf den Geist der Wahrheit und den Geist der Liebe fuhr er [Jopa Wojtyla] fort:
"Mit starkem Vertrauen auf den Geist der Wahrheit will ich also ..." [...]
Er [Papa Jopa] verwies zudem auf den Prozess der Konsolidierung der nationalen Bischofskonferenzen der gesamten Kirche und auf kollegiale Strukturen internationaler oder kontinentaler Art. [... Die Bischofskonferenzen sind die Zentralkomitees der papistischen Parteisekretäre.]
Die Laien sind dazu berufen, "das Salz der Erde" und "das Licht der Welt" zu sein. Das Charisma der Berufung der Laien liegt nach Jopa Wojtyla darin, "dem Evangelium in ihrem Leben Ausdruck zu verleihen und so die Frohbotschaft als Sauerteig in die Wirklichkeit der Welt, in der sie leben, einzubringen.
Gerade die großen Kräfte, die unsere Welt gestalten – Politik, Massenmedien, Wissenschaft, Technik, Kultur, Erziehung, Industrie und Arbeit – sind die Bereiche, in denen die Laien in besonderer Weise berufen sind, ihre Sendung zu erfüllen. Wenn diese Kräfte in der Hand von Menschen liegen, die wahre Jünger Christi sind und die gleichzeitig in ausreichendem Maße über das einschlägige Fachwissen und Können verfügen, dann wird die Welt in der Tat von innen her durch die erlösende Kraft Christi verwandelt."



S. 211) Geheimnis Christi als universales Bewusstsein heranbilden

Die Krise sitzt, wie Metz ausführt, tiefer: "Das jüngste Konzil hat sie nicht hervorgerufen, sondern nur offengelegt. Die Kirche zahlt den Preis für einen zu protektionistisch erscheinenden Umgang mit dem Volk.
Sie zahlt den Preis dafür, dass das Volk selbst bisher zu wenig zum Subjekt in der Kirche geworden ist, dafür, dass in der Sprache der Kirche die Lebens- und Leidensgeschichte des Volkes zu wenig verlautbart wurde, dafür, dass die Kirche zwar 'Kirche für das Volk' sein will, aber zu wenig 'Kirche des Volkes' ist."
Der Dialog, den das ZVK angeregt hat, muss heute geübt werden.
Das Geheimnis Christi muss als Grundlage der kirchlichen Sendung und als Grundlage des Christentums erörtert und im Sinne des Lehramtes des ZVK als universales Bewusstsein herangebildet werden.



S. 212) Zeitgeist-Exegese

"Um diesen ihren Auftrag durchzuführen, obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, die Zeichen der Zeit zu erforschen und im Lichte des Evangeliums zu deuten."


S. 213) Durchbruch zur offenen, solidarischen Kirche

Der Papst sagte:

"Geschieht es nicht manchmal, dass die starken religiösen Überzeugungen der Anhänger der nichtchristlichen Religionen – Überzeugungen, die auch schon vom Geist der Wahrheit berührt worden sind, der über die sichtbaren Grenzen des Mystischen Leibes (ML) hinaus wirksam ist – die Christen beschämen, die ihrerseits oft so leichtfertig die von Gott geoffenbarten und von der Kirche verkündeten Wahrheiten in Zweifel ziehen und so sehr dazu neigen, die Grundsätze der Moral aufzuweichen und dem ethischen Permissivismus (Päpstlicher Rat für die sozialen Kommunikationsmittel: "Pornographie und Gewalt in den Kommunikationsmedien – eine pastorale Antwort) die Wege zu öffnen? Es ist edel, bereit zu sein, jeden Menschen zu verstehen, jedes System zu analysieren und das, was richtig ist, anzuerkennen – das besagt jedoch keinesfalls, die Gewissheit des eigenen Glaubens zu verlieren oder die Grundsätze der Moral aufzuweichen, deren Fehlen sich bald im Leben der ganzen Gesellschaft bemerkbar macht und unter anderem die entsprechenden bedauerlichen Folgen verursacht."

[...] Durch das Konzil ist zwar damals der Durchbruch zu einer offenen, solidarischen Kirche gelungen.
Heute müsste allerdings vermehrt aufgezeigt werden, wie sehr sich die Kirche in den Konzilsdokumenten mit den Sorgen der Menschen solidarisiere und ein Zeichen der Hoffnung für die Welt von heute und morgen sein wolle.

Marxistisches Bibelverständnis



Alois Schifferle 2009: Der Pius-Bruderschaft

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Henri Lefebvre – der produktivste franzö. marxi. Intellektuelle


S. 170) Romanistisches Geheimnetz des Antimodernismus

Unter der Bezeichnung "Integralisten" in die Geschichte eingegangen, nannten sich diese Gruppen "Integrale Katholiken". Sie bemühten sich, gegen die Bestrebungen der liberalen Katholiken und der Modernisten "die Integrität ihres Romanismus zu bekräftigen". Die Integralisten scheuten sich in diesem Zusammenhang nicht, aus persönlichen Beweggründen die liberalen Katholiken und die Modernisten zu denunzieren und beherrschten so Bücher, Broschüren und Zeitschriften. Das "internationale antimodernistische Geheimnetz" wurde von Mgr. Benigni aufgebaut und später durch Émile Poulats Nachforschungen als Erzählung einer berüchtigten integralistischen Verschwörung aufgedeckt. Letztlich war es ein Verdienst von Poulat, den Sachverhalt in seiner Vielschichtigkeit aufgehellt und das "Sodalitium Pianum" aufgedeckt zu haben.
Die kirchliche Reaktion des Antimodernismus stand in Parallele zur politischen Reaktion des National-Katholizismus um Charles Maurras und seiner Bewegung, der "Action Francaise".
Unter Pius X. nahm diese Bewegung theologische Formen an und wurde durchorganisiert.
Zu dieser Zeit entstand zudem ein kirchlicher Nachrichtendienst unter der Leitung von Benigni. Es handelt sich um das "Sodalitium Pianum", ein internationales antimodernistisches Geheimnetz von Mgr. Benigni, der von 1906-1911 als Unterstaatssekretär in der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten wirkte. Unter der Tarnbezeichnung "La Sapinière" wollte er dieser mit Geheimcode und Decknamen operierenden Organisation eine institutionelle religiöse Basis geben. Die Untersuchungen von Émile Poulat klärten den recht komplizierten Sachverhalt über den Kreis und seine Anhängerschaft auf. Er wies nämlich nach, dass dieser Kreis weit geringer war und die ideologische Welt des Integralismus nur teilweise umfasste.



S. 174 f.) Antimodernisten-Jagd – vor allem die Jesuiten

Die Kirche mit ihrer gefestigten Hierarchie und kultureller wie ziviler Tradition sollte verstärkt als Stützfunktion der Monarchie dienen.
Der unmittelbare Anstoß, dieser "Action Francaise" beizutreten, lag in der Herausforderung des Antiklerikalismus, der durch die Dreyfus-Affäre entstand, von Liberalen und Sozialisten getragen wurde und im Jahre 1905 die Gesetze entwarf, wonach religiöse Orden (vor allem die Jesuiten) ausgewiesen, freie Schulen und Vereine unterdrückt und die Trennung von Kirche und Staat gesetzlich gefordert wurde. Pius X. stand der "Action Francaise" nahe, die das Autoritätsprinzip und die Ordnung gegen den Linkskatholizismus verteidigte.
Die Linkskatholiken sahen ihrerseits in der "Action Francaise" eine unchristliche Konzeption des Staates, die darauf abzielte, die Staatsräson zum höchsten Wert zu machen. Der Papst war Maurras dankbar für seine Angriffe gegen eine von den antiklerikalen Parlamenten Frankreichs und Italien vertretene Art der Demokratie und dafür, dass er einen "Lehrstuhl des Syllabus" geschaffen hatte, um eine auf Tradition und die Hierarchie aufgebaute konterrevolutionäre Konzeption der Gesellschaft zu predigen. L. Kaufmann schreibt hierzu:

"Angesichts dieser Herausforderung scheint man [...] jedes Mittel zur Bekämpfung des Gegners für gut befunden zu haben: Denunziationen, falsche Verdächtigungen und systematische Verteufelungen, wie sie dann besonders im Zug der Antimodernisten-Jagd ("So tickt der Orden von Holocaust-Leugner Williamson: Schon Papst Pius X., der Ordenspatron der Piusbrüder, war ein Erzkonservativer. Er verurteilte Wissenschaftler zu Ketzern und Protestanten zu Feinden Christi – trotzdem ist er der einzige Papst der Neuzeit, der zum Heiligen erklärt wurde." René Schlott) auch in die Kirche eindrangen, wurden bald einmal als normal empfunden. Der Geist der Gewalt, der aus den Büchern des Chefs, Charles Maurras, sprach, erschreckte aber selbst im antimodernistischen Rom und provozierte deren Verurteilung durch das Heilige Offizium."

Pius X. und Pius XI. verurteilten die Intentionen der "Action Francaise", d.h., Pius X. stimmte im Jahre 1914 dem Beschluss des HO zu, sie zu verurteilen.


S. 178) Drei Worte

Lefebvre stellt fest, dass sich alle Päpste bis und mit Pius XII. gegen das Eindringen der französischen Revolutionsideale in die Kirche gewehrt hätten.
Erst mit Johannes XXIII. sei diese revolutionäre Ideologie in die römisch-katholische Kirche eingedrungen.
In Anlehnung an Charles Maurras könnte Lefebvre den Satz formuliert haben:

"Mit diesen drei Worten: der Kollegialität, der Religionsfreiheit und dem Ökumenismus haben die Modernisten erreicht, was sie wollten."

Walter Geppert vermutet, dass Lefebvre hier "ganz und gar im Bann der von der Action Francaise inspirierten Deutung stand", was daraus hervorgehe, dass er "wiederholt auf die drei Revolutionsideal und ihre konziliare und kirchliche Wirkung zurückkommt. Er nennt diese drei auch 'freimaurerische Prinzipien', denen die katholische Kirche das Tor geöffnet habe. So sagt er an anderer Stelle, dass man bei totaler Freiheit alles dem Gewissen überlasse und es keine Gesetze mehr gebe. Gewissensfreiheit bedeutet:

'Ich tue, was ich will. Ich anerkenne weder ein Gesetz noch eine persönliche Autorität.
Gleichheit heiße Ablehnung jeder Autorität. Brüderlichkeit sage: Es gibt keinen Vater mehr.'"

Hinter der gegenwärtigen Anhängerschaft Lefebvre, die sich nach Auffassung von F. Alt als eine gefährliche politische Mischung aus religiösem Faschismus, primitiven Antikommunismus und autoritärem Obrigkeitsstaatsdenken erweist, verbergen sich möglicherweise rechtsextreme Gruppen, die Lefebvre ihrerseits zu beeinflussen suchen.


S. 179 f.) Integristen, Freimaurer und Kommunisten

Diese Bewegung der Integristen, die sich erst seit einiger Zeit lautstark artikuliert, ist eine Reaktion auf das ZVK. In Marcel Lefebvre gewannen sie den ersten Bischof, der gewillt war, sich zum Sprecher ihrer traditionalistischen Richtung zu machen. Wenn Lefebvre heute die tridentinische Messe liest, gerät der Gottesdienst leicht zu einer Massenveranstaltung amerikanischen Zuschnitts. Auch Lefebvre lebt im Konflikt, seinen Glauben gegen den Papst und gegen die Bischöfe behaupten zu müssen. Er ist überzeugt, dass Gott mit ihm ist und die Wahrheit siegen wird. Ihr gemeinsames Ideal ist und bleibt eine glorifizierte Kirche des 19. Jh.s, die sich mutig, mit Geld und Intelligenz, jedem Trend modernen Denkens widersetzt. Ihr Staatsideal ist das Ancien Régime. Für diese franzö Integristen ist die Französische Revolution mit der Vorstellung von Freiheit und Gleichheit und der Erklärung der Menschenrechte ein Werk des Teufels, das Papst Pius VII. als solches brandmarkte und das auch im Syllabus von Pius IX. verworfen wurde. Eine spezifische Auslegung der christlichen Lehre und deren Wahrheitsgehalt wurde zum göttlichen Gebot und zur moralischen Pflicht.

Diese Lehrtradition steht im Widerspruch zu einem Konzil, das sich für die Gewissensfreiheit ausspricht und zu einem Dialog mit Andersdenkenden auffordert. Sie steht auch im Widerspruch zu jenem Priesterverständnis, das das soziale Engagement gegenüber privater Frömmigkeit und persönlicher Heiligkeit betont. Nach Meinung der Integristen rehabilitiert ein Konzil, das historisch-kritische Exegese zulässt, die von Papst Pius X. verurteilten Modernisten. Die Aussprache mit allen Menschen guten Willens führe daher zum Dialog mit den Religionen und zu einer Annäherung an den internationalen Kommunismus.
Sie glauben auch, dass mit der Anerkennung der Menschenrechte und der Demokratie als Herrschaftsform in den päpstlichen Verlautbarungen der Pontifikate Johannes' XXIII. und Pauls VI., die katholische Lehrtradition verletzt und ihre kontinuierliche Folge von Pius VII. bis Leo XIII. unterbrochen worden sei.

Die innere Krise des Katholizismus in Frankreich wird besonders deutlich durch die integralistischen Gruppierungen um Abbé Georges de Nantes, dem Begründer der "katholischen Gegenreformation". Abbé Georges de Nantes klagt die Kardinäle von Paris und Madrid (Marty und Enrique y Taracón) sowie Papst Paul VI. in seinem Buch "Libre accusations" der Verschwörung mit der Freimaurerei an.
Neben vielen anderen Gruppen reicht die integralistische Schattierung des französischen Katholizismus bis hin zu den Gruppierungen um Clemens XV. (Michel Collin), einer erneuerten Kirche und einem "kleinen Vatikan" in Clémery (Lothringen), die nach dessen Tod im Juni 1974 teilweise bei Lefebvre eine neue Heimat fanden.



S. 181 f.) Léon Bloy – katholischer Sprachphilosoph, Vater – Freimaurer

Die Kritik der Progressisten oder Progressiven wie die Kritik der Traditionalisten ist aber kein Produkt des letzten Konzils. Sie reicht vielmehr an den Beginn des 19. Jh.s, d.h. in die Geschichte des französischen Katholizismus zurück. Ihre Kritik an einem zu sehr der staatlichen Autorität ergebenen Christentum formulierte bereits im Jahre 1866 Léon Bloy (1846-1917, katholischer Sprachphilosoph with Freemasonic father). [...]
Für dieses Christentum gilt seinen Worten nach: "Jede Handlung und jeder Gedanke, die vom Programm her nicht vorgesehen sind, d.h., jeder natürliche und spontane Antrieb, wie großherzig er auch sei, wird als unpassend angesehen und kann eine verwerfliche Ausstrahlung nach sich ziehen."
Diese Richtung verlagert ihren Akzent von der Frage des Stellenwerts des Christentums in der Welt zugunsten eines konkreten Handelns in der Welt. Es geht ihr um den uneingeschränkten Einsatz für die Armen und Hilflosen.

Dieser Akzent findet sich wieder im philosophischen Personalismus um Emmanuel Mounier (1905-1950), einem Theoretiker des sogenannten linken Katholizismus in Frankreich der 30er und 40er Jahre.
Zur Wirtschaftskrise Anfang der Dreißigerjahre führte er aus:

"Gegenüber der Krise, deren Schwere sich viele verheimlichten, zeichneten sich zwei Erklärungen ab.
Die Marxisten sagten: klassenbedingte Wirtschafts-Strukturkrise. Verändert die Wirtschaft, und der Kranke wird wieder gesund! Die Moralisten hielten entgegen: Krise des Menschen, Krise der Moral, Krise der Werte. Ändert den Menschen, und die Gesellschaft wird wieder gesund! Wir wurden weder von den einen noch von den anderen befriedigt.
Spiritualisten und Materialisten scheinen uns am selben modernen Irrtum teilzuhaben: dem, der infolge eines zweifelhaften Cartesianismus willkürlich Körper und Seele, Denken und Handeln, den homo faber und den homo sapiens trennt. Wir behaupten unsererseits: Die Krise ist zugleich eine Wirtschaftskrise und eine geistige Krise, eine Krise der Strukturen und eine Krise des Menschen.
Wir nahmen nicht nur das Wort Péguys: 'Die Revolution wird moralisch oder überhaupt nicht sein' auf, sondern wir präzisierten:
'Die moralische Revolution wird wirtschaftlich oder überhaupt nicht sein.
Die wirtschaftliche Revolution wird moralisch sein oder sie wird nichts sein.'"

Im Sinne eines solchen philosophischen Personalismus erstrebten die progressiven Gruppen Frankreichs bis Mitte der 1960er Jahre einen neuen Aufbruch, der allerdings nicht eine Imitation der Revolution der Marxisten sein wollte. Trotzdem umschrieben sie ihren Aufbruch mit dem Wort "Revolution".
Mitte der Sechzigerjahre machte sich in Frankreich eine erneute Akzentverschiebung zugunsten der marxistischen Erklärung der Krise bemerkbar. Diese Tatsache führte in zahlreichen Gruppen dieses Katholizismus zu einer "linken" Politik. Hierzu sind die "Chrétiens critiques", die Redakteure der Zeitschrift "la lettre" und des Wochenblattes "Témoignage chrétien", ferner "Témoignage Chrétien-Midi", "Politique-Hebdo", "Echanges et Dialogues" und "vie nouvelle" zu zählen. Zur gleichen Zeit wurde die französische Vereinigung der christlichen Gewerkschaften in die "demokratische französische Vereinigung der Arbeit" umbenannt. In diesen Vereinigungen wird auch ein marxistisches Bibelverständnis gelehrt, das der allgemeinen Befreiung des Menschen dienen soll. Religiöses Leben im traditionellen Sinne dient bei den genannten Gruppen der Selbstreflexion. Stellvertretend soll hier Bernard Besret zu Wort kommen, der die Wirksamkeit seines Gebetes programmatisch wie folgt interpretiert:

"Mein Gebet hat keine magische Wirksamkeit.
Auch hier greift Gott nicht in den Lauf der Dinge ein, um ihn abzukürzen. Mein Gebet ist nur insofern wirksam, als es mir hilft mich zu bekehren und mich dem Einfluss des Geistes zu öffnen."

Nach Meinung der genannten Gruppen richtet sich ihre Absicht gegen einen stabilisierenden Machtapparat der Kirche. Ihre Intention liegt in der Bereitschaft, eine humanere Welt zu verwirklichen. Andererseits liegt die Frage nahe, was diese Gruppierungen tatsächlich mit dem klassischen Christentum an Gemeinsamkeiten noch aufweisen können.

Rückbildung zur geschlossenen Christenheit



Alois Schifferle 2009: Die Pius-Bruderschaft

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S. 124) Freiheit – dieses neue Recht

In seinen Verlautbarungen unterstellt Lefebvre der Kirche, der Freimaurerei nahe zu stehen, weil sie den pluralistischen Charakter der heutigen Gesellschaft beachte und auf deren Rückbildung zu einer geschlossenen Christenheit verzichte.
In seinem Grundsatzdokument führt er die Ursachen der heutigen innerkirchlichen Krise auf die Französische Revolution zurück, deren Gedankengut von den "Feinden der Kirche", den Freimaurern einerseits und den liberalen Katholiken andererseits, aufgenommen worden sei. Vom Gedankengut der Französischen Revolution (liberté, égalité, fraternité) sieht Lefebvre in der Erklärung über die Religionsfreiheit besonders den Gedanken der Freiheit verwirklicht. Im Dekret über den Ökumenismus vermutet er den Gedanken der Brüderlichkeit und in der Lehre von der Kollegialität der Bischöfe den Gedanken der Gleichheit.
In einem Vortrag am 17.1.1973 nennt er das Konzil den Ursprung der gegenwärtigen innerkirchlichen Krise.
Er vertritt die Ansicht, die freiheitlichen Ideen hätten bis zu Pius XII. keinen Eingang in die Kirche gefunden:

"Alle Päpste, von der Revolution an bis zu Papst Pius XII., haben mit äußerster Erbitterung diese Irrtümer, Gewissensfreiheit, Redefreiheit, alle Arten von Freiheit – 'dieses neue Recht', wie es Leo XIII. (1856-1903) nannte, verworfen.
Die Gedanken der Revolution – das konnte man bis zum Konzil sagen – waren nicht in die Kirche eingedrungen oder nur sehr wenig, auf heimtückische Weise in die Seminare durch Autoren wie Teilhard de Chardin SJ (1881-1955)."


S. 125) die Göttin, die Revolte der Vernunft

Lefebvre weist auf eine Theologenversammlung hin, die im Jahre 1974 unter Teilnahme von Kardinal Suenens in Brüssel stattfand, auf der er jenen Geist der maurerischen Ideologie eindringen sah. Daraus zieht er den Schluss, durch diese Ideologie gehe der Glaube verloren. Er sagt:

"Denn die Göttin der Vernunft wurde an die Stelle Gottes gesetzt.
Der Mensch, der sich zu Gott macht – das ist die Französische Revolution."

Daraus folgert er:

"Dass dies es ist, was zur Zeit in der Kirche vor sich geht: Man zerstört den Glauben, man zerstört den Gottesbegriff, man zerstört die Autorität, weil sie eine Teilnahme an der Autorität Gottes ist. Man zerstört die persönliche Autorität, weil man mit Schrecken daran denkt, dass derjenige, der Autorität besitzt, ein Abbild Gottes sein könnte. Man ertränkt sie deshalb in der Masse.
Wir sind wirklich bei der Revolte der Vernunft gegen den Glauben angelangt."

[...] In weiteren Ausführungen am 29.8.1976 in Lille widersetzt sich Lefebvre einem Dialog freiheitlich denkender Christen. Er sieht darin eine "ehebrecherische Verbindung der Kirche mit der Revolution".
In seinen Ausführungen appelliert er an die Aufforderung des Herrn: "Gehet und lehret alle Völker und bekehret sie." Lefebvre lehnt jegliche Diskussion eines Dialogs mit Andersdenkenden ab und fordert statt dessen eine Begegnung, "um zu bekehren".



S. 126) Eine römisch-katholische Sonderkommission Freemasonry

Lefebvre, Predigt am 5.9.1976 in Besançon:

"Wir können nichts Besseres tun, als in dem fortzufahren, was unsere Eltern, unsere Großeltern, unsere Vorfahren immer getan haben, überzeugt, dass wir in der Wahrheit sind und dass die Wahrheit eines Tages siegen wird."

In einer weiteren Ansprache am 24.10.1976 in Friedrichshafen lehnt er jede Kompromissbereitschaft im Dialog mit den Freimaurern ab, was er wie folgt begründet:

"Man geht jetzt mit der Freimaurerei Kompromisse ein. Ich habe Gelegenheit gehabt, ein Mitglied der Kommission zu sehen – eine Sonderkommission hier in Deutschland – die von Rom gebildet und beauftragt worden war zu studieren, auf welche Weise die Bischöfe den Laien erlauben könnten, der Freimaurerei anzugehören. Es haben also Besprechungen stattgefunden ... Aber das geht doch über alles Vorstellbare!
Wenn man weiß, was auch die Freimaurerei ist, wenn man weiß, dass die Freimaurerei grundsätzlich gegen Unseren Herrn Jesus Christus und gegen die Herrschaft der Kirche ist, dann ist es doch nicht vorstellbar, dass es erlaubt sein soll, dass Laien Mitglieder von Freimaurerlogen sind."


S. 127) Im traditionsverbundenen Milieu intensiver Frömmigkeit

Im Milieu der schweigenden, traditionsverbundenen Mitglieder beständen aber so viel Glaubenswille und intensive Frömmigkeit, dass kirchliche Autoritäten sich heute schwer täten, wirksam gegen sie und ihre Absichten einzuschreiten.
Anhand verschiedener Beispiele wird zudem auf die Traditionen und Kräfte aufmerksam gemacht, die bei solchen Gruppierungen in ihrem Kampf gegen die Freimaurerei im Spiele seien.
Das Beispiel der "Una Voce Gruppe Maria" des Münchener Universitätsprofessors Lauth verdeutlicht die Gefahr, wonach die Übergänge zur Sektenmentalität fließend sind und Papst und Bischöfe exkommuniziert werden:

"Paul VI. und fast sämtliche Bischöfe der heutigen sich römisch-katholische Kirche nennenden Institutionen sind tote Glieder am Leibe Christi. Sie haben die Adern des sterbenden Erlösers durchschnitten und das Volk Gottes von der lebensspendenden Kraft seines Opferblutes getrennt."

Eine sich großspurig "Römisch-Katholische Europazentrale" nennende Traditionalistenvereinigung erklärt:
"Papst und Konzil bekämpfen zu müssen ist unsere notwendige Crux."



S. 151) Im Namen der Treue (zum "Geist-Verleiher")

Die Tragik für Lefebvre liegt darin, dass er sich dem Druck seiner Anhänger beugte, die auf einem harten und unausweichlichen Kurs gegenüber Rom bestanden. Aus Furcht vor einem Auseinanderbrechen seines Werkes kündet Lefebvre einseitig die unterzeichnete Vereinbarung mit Rom auf mit der Begründung, dass die Zeit für eine Einigung noch nicht reif sei und die Vereinbarungen noch nicht weit genug gehen.
Zudem habe er kein Vertrauen mehr in das moderne Rom, das den katholischen Glauben verloren habe!
Dieses Schisma Lefebvre ist nicht zu billigen, es ist zweifelsohne zu bedauern! Lefebvre und seine Anhänger vollzogen zwar diese Trennung im Namen der Treue zum überlieferten Glauben. Doch auch die KK ist zur Treue verpflichtet und darf nicht hinter die Beschlüsse des ZVK zurück! Würde sie dies tun, trüge ein solcher Schritt ebenfalls zum Glaubensverlust vieler, die die Wandlungen gemäß den Richtlinien des jüngsten Konzils vollzogen haben, bei. Denn nicht nach eigenem Recht und Gutdünken wandelt sich die Kirche, sondern Christus, ihr Herr, ruft sie dazu auf und hat ihr dazu seinen Geist verliehen, wozu es im 6. Artikel des Ökumenismusdekrets heißt: "Die Kirche wird auf dem Weg ihrer Pilgerschaft von Christus zu dieser dauernden Reform gerufen, deren sie allzeit bedarf, soweit sie menschliche und irdische Einrichtung ist."



S. 161 ff.) Kirchlicher Integralismus und christlicher Sozialismus in Personalunion

De Bonald (1754-1840) gilt als Begründer des Traditionalismus in Frankreich. Nach seiner Ansicht ist die Sprache das notwendige Kriterium für jegliche intellektuelle Tätigkeit und das Mittel für die moralische Existenz. Sein Wahlspruch lautet: "L'homme pense sa parole, avant de parler sa pensée." Darin vertrat er die Ansicht, dass

"wie kein Körper, nicht einmal unser eigener, für unser Auge existiert, bevor das Licht ihn, seine Gestalt, seine Farbe, seinen Platz, sein Verhältnis zu anderen Körpern usw. uns zeigt, so existiert auch der Geist weder für sich noch für andere, bevor er das Wort erkennt – das Wort, das ihm die intellektuelle Welt erschließt und seine eigenen Gedanken kennen lehrt.
Ohne Sprache also kein Denken und keine Erkenntnis."

Der zweite Hauptvertreter des Traditionalismus, Félicité Robert de Lamennais (1782-1854), war über zwanzig Jahre hinweg geistiger Führer des französischen Katholizismus. Er gilt sowohl als Inspirator für eine dem Papsttum ausgesprochen freundlich gesinnte Haltung, die zum kirchlichen Integralismus führte, als auch für eine progressive Gesinnung, die zum christlichen Sozialismus strebte.
1782 in der Bretagne geboren und glaubenslos aufgewachsen, wurde er nach seiner Bekehrung 1816 zum Priester geweiht. In den Jahren 1817-1823 veröffentlichte er sein Hauptwerk "Essai sur l'indifférence en matière des religion". Als Führer eines Kreises Intellektueller unterschiedlichster Prägung und Journalist gab er seit 1830 die progressive Tageszeitung "L'Avenir" heraus, die sich für das Proletariat einsetzte, europäische Freiheitsbewegungen unterstützte und mit ihren Forderungen Aufsehen und Kritik bei Kirche und Staat erregte. Wegen seiner Aussagen in der Schrift "Paroles d'un croyant" kam es zum Bruch mit der kirchlichen Hierarchie. De Lamennais wandte sich enttäuscht dem christlichen Sozialismus zu, dem er bis zu seinem Tod im Jahre 1854 treu blieb.


Der Sensus Communis


Sein besonderes Interesse galt der Relevanz der Religion für die Gesellschaft. So gab er der Gesellschaft den Vorrang vor dem Individuum und der Kollektivvernunft (sensus communis) vor der Individualvernunft.
Nach de Lamennais ist die individuelle Vernunft unfähig die Wahrheit zu finden.
Die Erkenntnis von Wahrheit in Glaubenssaussagen ist nur auf das Zeugnis einer Autorität hin möglich. Die Autorität, die er hervorhob, ist die menschliche Gesellschaft. Nur wenn alle Menschen darin übereinstimmen (sensus communis), dass ein Sachverhalt eine Wahrheit ist, kann diese als solche anerkannt werden. Die unabweisbare Autorität der gemeinsamen Übereinstimmung (la raison générale) geht auf göttliche Autorität zurück. [...]
Der Anspruch des Christentums beruht nach ihm "auf der Autorität des sensus communis [...] der jenes als Quelle seiner traditionellen Glaubensüberzeugung feststellt.
"Da der natürliche Glaube der Menschheit die einzige Quelle der Gewissheit ist, ist es dieser sensus communis, der den Anspruch der einzig wahren geoffenbarten Religion beweist, dessen Authentizität durch die drei Kriterien des Alters, der Kontinuität und der Universalität garantiert ist."
Die Ausschließlichkeit, die nur dem sensus communis ein Recht auf Autorität zubilligt, bestritt aber de Bonald, indem er nur dem führenden Ersten ein Anrecht auf Autorität einräumte.
Die Ansätze des theologischen Traditionalismus de Lamennais' begeisterten zunächst in La Chênaie bei Saint-Malo und dann in Jully den um ihn versammelten Kreis von Schülern. "H. Combolat de Coux, P.O. Gerbet, P. Guéranger, J.B.H. Lacordaire, Ch. De Montalembert, Salinis werden eifrige Verkünder des neuen Systems, das zahlreiche Seminarien erfasst und unter dem jungen Kleus eine eifrige Anhängerschaft findet, bevor es von St. Sulpice (P.D. Boyer) und den Jesuiten (J.L. Rozavery, M.A. Chastel, G. Perrone, M. Liberatore) bekämpft, von den Bischöfen zensuriert und von Gregor XVI. in der Enzyklika Singulari nos (1834) verworfen wird."
Der Bruch de Lamennais' mit dem Katholizismus beeinträchtigte die Verbreitung seiner philosophischen und theologischen Ideen nicht. Diese Ideen wurden durch Bonnettys "Annales de philosophie chrétienne" bis zur Zeit des Ersten Vatikanischen Konzils unterstützt.
Folgender Gedankengang liegt den Auffassungen von de Bonald und de Lamennais zugrunde:

"Nach traditionalistischer Auffassung gibt es eingeborene Ideen, nur habe der Geist nicht die Kraft, sich ihrer bewusst zu werden. Es bedarf dazu des Sprechens, das mit dem Denken identisch ist, diesem aber vorausgehe. So sei zur Bewusstwerdung der eingeborenen Ideen die Sprache unentbehrlich, die jedoch der Mensch niemals habe erfinden können, sondern von der angenommen werden müsse , dass sie ihn von Gott in einer 'Uroffenbarung' geschenkt worden sei.
Damit geht alle Wahrheit auf Gott zurück, die Gesellschaft ist der Träger der Wahrheit, und als Kriterium der Wahrheit kommt allein der sensus communis in Frage (Lamennais: 'Die allgemeine Übereinstimmung ist für uns das Siegel der Wahrheit – es gibt durchaus kein anderes.')"


S. 165 f.) Görres' Kampf gegen die Befreiung aus Abhängigkeit und Bevormundung

"Nachdem Chateaubriand die Nützlichkeit des Christentums dargetan hatte, wollten die Traditionalisten noch radikaler dessen Unentbehrlichkeit für die Ordnung der Erkenntnis, der Moral und der Politik aufweisen." [...]
Die "Römische Schule" mit Vertretern wie Giovanni Perrone, J.B. Franzelin, Carlo Passaglia, Clemens Schrader erhob sich gegen die rationalistischen und liberalen Tendenzen und verteidigte als eine führende Bewegung der Neuscholastik unter traditionalistischen Vorzeichen die Orthodoxie, die Autorität des Papstes und der Kurie gegenüber dem Rationalismus und Liberalismus. Sie setze sich für eine Straffung und Zentralisierung der Kirchenleitung ein und versuchte, die alte scholastische Doktrin zu erneuern. Um Ähnliches bemühte sich die "Mainzer Schule", die durch B.F.L. Liebermann, Heinrich Klee und später durch J.B. Heinrich vertreten wurde.

Durch die realen Prozesse der Aufklärung, die ihren Höhepunkt im 19. Jh. hatten und mit denen ein Wandel auf sozialer, wirtschaftlicher und theologischer Ebene einherging, begann sich der Staat von der Religion zu emanzipieren. Die Religion verlor durch die Entwicklung des Bürgertums an stabilisierendem Einfluss. Das Volk begann sich mehr und mehr von der Kirche zu distanzieren. Religion nahm immer deutlicher den Charakter einer Privatangelegenheit an. In dieser Epoche wurden wirtschaftliche und gesellschaftliche Dimensionen neu entdeckt. Eine Verwurzelung des Volkes in der Kirche wurde weniger gesucht.
Die Krisenherde dieser Entwicklung beeinträchtigten die Kirche dieser Epoche zusehends. Am deutlichsten trat dies durch eine zunehmende Traditionslosigkeit des Volkes hervor. Daher versuchte der Traditionalismus mit den bekannten Vertretern Frankreichs: de Maistre, de Bonald, de Lamennais, Englands Burke, Spaniens Donoso Cortez und Deutschlands Görres, Pilgram Jr. u.a. die politische Autorität auf die religiöse Autorität zurückzuführen, indem sie religiöse und gesellschaftliche Ordnungen miteinander zu verbinden suchten. Es sollte der Sinn dafür geweckt werden, gegen die Befreiung von Abhängigkeit und Bevormundung des Bürgers von der religiösen Grundlage her zu kämpfen.